23.02.2018. Pflicht für alle Bundestagsabgeordneten: Markus Imhoofs "Eldorado". Herrlicher Abschied von Castorfs Volkbühne: "Partisan" im Panorama. Dies und mehr - ein Rückblick auf den Donnerstag der Berlinale.
"Dieser Film sollte
im Bundestag gezeigt werden. Mit Anwesenheitspflicht für die Abgeordneten",
schreibt Thierry Chervel im
Perlentaucher über
Markus Imhoofs essayistischen Dokumentarfilm "Eldorado", der sich geduldig mit den Stationen beschäftigt, an denen sich Flüchtlinge in Richtung Europa entlang hangeln: Dabei ist es "erstaunlich, aber bewundernswert, wie sanft Imhoof bis in die letzten Minuten seines Films bleibt, bewundernswert, weil es die
Überzeugungskraft seines Films nur noch steigert. Bis zum Schluss verzichtet er aufs Appellative, setzt auf die Fähigkeit seiner Zuschauer zum
Selberdenken."
Sicher, an Dokus über Flüchtlinge gab es in den letzten Jahren keinen Mangel,
schreibt Christiane Peitz im
Tagesspiegel. Doch dieser Film steche heraus, weil er etwas in den Blick bekommt, was die vorangegangenen Filme übersehen: "Zum einen analysiert er Strukturen, legt
die Verbindung zwischen Asylpolitik und Handelsströmen ebenso offen wie die Logistik der Flüchtlingsversorgung. ... Zum anderen nimmt Imhoof sich dennoch die Zeit, einzelnen Migranten zuzuhören,
Schlaglichter auf ihre individuellen Geschichten zu werfen." Und "drittens weitet 'Eldorado' die Perspektive
ins Historische." Weitere Besprechungen in
taz und
NZZ. In der
FAZ beschäftigt sich Bert Rebhandl allgemein mit Filmen über Flucht und Migration, die auf dem Festival zu sehen sind,
Außerdem aus dem Wettbewerb besprochen werden
Philip Grönings "Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot" (
ZeitOnline,
unsere Kritik hier) und
Alonso Ruizpalacios' bei der Kritik weitgehend durchgefallener Kunstraub-Thriller "Museo" (
Perlentaucher,
Tagesspiegel,
taz,
Berliner Zeitung). Dominik Kamalzadeh (
Standard) und Daniel Kothenschulte (
FR) berichten allgemein vom Wettbewerb, den letzterer in diesem Jahr wieder für "
mit Enttäuschungen überfrachtet" hält.
Mit "Partisan" im Panorama erweisen Lutz Pehnert, Matthias Ehlert und Adama
Ulrich Castorfs Volksbühne eine letzte filmische Hommage. Ihrem Gegenstand der Zuwendung sind die Macher eine Spur zu sehr erlegen, ist
Perlentaucherin Thekla Dannenberg
aufgefallen. Doch "kann man sich einem Film nicht entziehen, der mit so viel
Witz,
Enthusiasmus und
sagenhafter Star-
Power von den wildesten Jahren der deutschen Theatergeschichte erzählt." Lachen muss sie etwa darüber, "wenn man heute sieht, was für ein
Schock das Ost-Theater Anfang der neunziger Jahre für das West-Berliner Bürgertum war." Mit Castorf "übernahmen Schlingensief und Kresnik, Marthaler und Pollesch die Regie, und
sie kackten auf die Bühne und kotzten ins Publikum."
Bert Rebhandl konnte sich vor allem für
Sophie Rois begeistern, wie er im
FAZ-Blog
schreibt: "Wie sie da jetzt noch einmal auf dem Sofa vor der stalinistisch getäfelten Wand sitzt und ihre Sicht der Dinge
herausfaucht, das brachte ihr mehrfach Szenenapplaus ein.
Martin Wuttke hatte seine beste Reibeisenstimme auf das Sofa mitgebracht, und ließ echte Traurigkeit erkennen, weil er künftig seine "
latente Asozialität" ohne Familienanschluss aushalten muss."
"Genau für solche Filme braucht man das Forum",
freut sich Thekla Dannenberg im
Perlentaucher: "Die Wiederentdeckung des
nigerianischen Filmklassikers 'Shaihu Umar' ist ein Ereignis,
bewegend,
verstörend,
bedeutend."
Weitere Artikel: Im
SWR2-Forum
diskutieren die Filmkritiker Hannah Pilarczyk, Hanns-Georg Rodek und Rüdiger Suchsland über die
Relevanz der Berlinale. Ulrich Gutmair
spricht für die
taz mit
Gerd Kroske über dessen im Forum gezeigten und im
Tagesspiegel besprochenen "SPK Komplex" über die unaufgearbeitete Geschichte des
Sozialistischen Patientenkollektivs, das sich in den 70ern bis in den engeren Sympathisantenkreis der
RAF radikalisierte. Christian Schröder
empfiehlt im
Tagesspiegel den
Begleitband zur
Retrospektive. Lea Wagner
war für die
taz bei einer Gesprächsveranstaltung mit
Christian Petzold. Susanne Lenz
berichtet in der
FR von einer Berlinale-Debatte über
sexuelle Gewalt. Außerdem hat Lenz für die
Berliner Zeitung eine Debatte über den
filmischen Nachwuchs in Deutschland besucht. Silvia Hallensleben hat für den
Tagesspiegel Dokus über Familien gesichtet. Alexandra Seitz (
Berliner Zeitung) und Claudia Reinhard (
FAZ) arbeiten sich durch das
Serienprogramm der Berlinale. Für die
SZ porträtiert Jan Kedves den japanischen Komponisten
Ryuichi Sakamoto, der in diesem Jahr in der Wettbewerbsjury sitzt.
Besprochen werden
Ula Stöckls und
Edgar Reitz' Kurzfilmreihe "Geschichten vom Kübelkind" (
Tagesspiegel),
Steven Soderberghs Psychothriller "Unsane" (
taz,
Tagesspiegel,
unsere Kritik hier),
Ludwig Wüsts "Aufbruch" (
Tagesspiegel),
Johanna Sunder-
Plassmanns und
Tama Tobias-
Machts Dokumentarfilm "Draußen" (
Tagesspiegel),
Wolfgang Fischers "Styx" (
Berliner Zeitung),
Maria Solruns "Adam" (
taz),
Pernille Fischers "Unga Astrid" über
Astrid Lindgren (
Tagesspiegel),
Yang Mingmings "Girls Always Happy" (
taz).
Weiteres in aller Kürze vom Festival im
Kritikerspiegel von
critic.
de und in den
Festival-SMS von
Cargo, sowie natürlich mehrfach täglich aktualisiert
in unserem Berlinale-Blog.