Bücher der Saison

Comics

Eine Auswahl der interessantesten, umstrittensten und meist besprochenen Bücher der Saison.
11.11.2023. Anke Feuchtenberger und Sandra Rummler erzählen je von einer Jugend in der DDR kurz vor der Wende. Hayao Miyazakis "Shunas Reise" ist ein Manga in Farbe. Und ein neuer Asterix ist erschienen, dessen Wortwitz fast an den des verstorbenen René Goscinny heranreicht.
Anke Feuchtenbergers "Genossin Kuckuck" (bestellen) erzählt von der Kindheit und Jugend eines Mädchens in einem Dorf in der DDR: Gutes und Schlechtes, Kinderspiele und Grausamkeiten, sexuelle Gewalt, Einsamkeit prägen diese Geschichte. Das Mädchen erfindet sich zum Schutz Traumwelten, sprechende Gänse, ein Pilz oder Faune kommen darin vor. Die Bilder Feuchtenbergers sind "komplex und vielschichtig wie die Handlung, oft bestehen sie aus mehreren Schichten Kohle oder Bleistift, denen die Künstlerin durch Kratzen, Wischen und Radieren eine fast plastische, organische Anmutung gibt", lobt ein beeindruckter Lars von Törne, dessen Artikel im Tagesspiegel mit zahlreichen Beispielen bebildert ist. Selbst eine eigene Typografie hat Feuchtenberger, Professorin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, entwickelt. Ein "Meisterstück", versichert Jan-Paul Koopmann in der taz. Kein "angenehmes Buch, es ist wunderschön und quälend zugleich, weil es zwar eine konkrete historische Situation beackert, aber eben doch auch sehr grundsätzlich an den Sollbruchstellen des Seelenhaushalts herumnagt." Auch Jule Hoffmann (Dlf Kultur) und Andrea Heinze (rbbKultur) empfehlen diesen Band nachdrücklich. Auf Arte stellt ihn Kolja Kanziora vor. Von einer Jugend in der DDR bis nach dem Mauerfall erzählt auch Sandra Rummlers erste Graphic Novel, "Seid befreit" (bestellen). "Radikal subjektiv erzählt" und "überaus originell gestaltet", lobt Andreas Platthaus in seiner Comic-Kolumne, lebt dieser Band vom "spezifischen Blick eines Mädchens, das dem repressiven DDR-Regime skeptisch gegenüberstand, auf die zwiespältige Entwicklung nach dem Mauerfall". Und auch die taz lobt die "neuen und aufregenden" Bilder der Künstlerin. Hier ein Interview mit der Autorin im RBB.

Ganz was anderes, aber offenbar auch gut: Der neue Asterix "Die weiße Iris" (bestellen) ist der beste seit langem, versichern die Kritiker unisono in NZZ, SZ und Welt. Auch in dem kleinen Dorf in Gallien hält der Fortschritt Einzug in Gestalt eines "Sei die beste Version deiner selbst"-Gurus namens Visusversus, der Römer und Gallier aufmischt. Positives Denken, Achtsamkeit (Asterix und Obelix sind jetzt keine Krawallbrüder mehr, sondern "Leute, die sich aufgrund ihres exzentrischen Verhaltens von dir und mir unterscheiden", lernen die staunenden Römer), keine Schlägereien mehr und vor allem: kein Fleisch. Die Damen des Dorfes sind begeistert, die Männer - nun ja. Gute Story, aber was die Kritiker vor allem anmacht, ist der Wortwitz von Fabcaro, der fast an den des verstorbenen René Goscinny heranreicht, versichert David Steinitz in der SZ. Und weil wir gerade bei Klassikern sind, sei auch noch auf Hayao Miyazakis "Shunas Reise" (bestellen) hingewiesen: Der japanische Anime-Filmemacher hat den Stoff 1983 als Manga herausgebracht, weil er nicht das Geld für einen Film zusammenbrachte, erzählt Fritz Göttler in einer Kurzkritik für die SZ. Das Ergebnis: "Keine Comic-Sprechblasen, aber Momente einer langen Reise von schöner filmischer Unerklärlichkeit". In der FAZ ist Andreas Platthaus hin und weg: "Shunas Reise" ist "ästhetisch ein Solitär", schwärmt er, "der sich weder westlichen noch japanischen Comicgepflogenheiten anpasst: eher Bilderbuch mit vielen ganz- oder gar doppelseitigen Zeichnungen, was seinen Grund darin hat, dass Miyazaki sich der Entwurfs- und Storyboard-Zeichnungen bediente, die er für ein dann nie realisiertes Animationsprojekt angefertigt hatte." Und die darum auch in Farbe sind!

Außerdem gut besprochen: Ausgerechnet Michel Houellebecqs "Karte und Gebiet" hat sich der Architekt Louis Paillard als Vorlage für seine erste Graphic Novel ausgesucht (bestellen). Und was soll man sagen: Das Experiment scheint außerordentlich geglückt zu sein - "ein beeindruckendes Text-Bild-Werk über das zeitgenössische Künstlersubjekt zwischen Ruhm und Abgrund", staunt Dlf Kultur und SZ-Kritiker Fritz Göttler erlebte gar ein "aufregendes neues Feeling" bei der Lektüre. Mit ihrer Biografie der Filmpionierin Alice Guy als Graphic Novel (bestellen) geben Jose-Luis Bocquet und Catel Muller einen aufschlussreichen Einblick in die Filmbranche um die Wende zum 20. Jahrhundert, lobt die taz. Die SZ empfiehlt Joann Sfars "Die Synagoge" (bestellen), der mit "krakeligem" Strich und viel Witz von der Kindheit und Jugend des Autors in einem Nizza erzählt, in dem der Front National allgegenwärtig ist.