Efeu - Die Kulturrundschau - Archiv

Kunst, Ausstellungen, Architektur

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Efeu - Die Kulturrundschau vom 13.05.2024 - Kunst

Gebannt blickt Nicola Kuhn für den Tagesspiegel in der Berlinischen Galerie in die entstellten Gesichter der "Gueules Cassées" von Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg. So nannte man die von Sprengstoff zerfetzten Gesichter der Veteranen, von denen viele aus den damaligen französischen Kolonien stammten. Der französisch-algerische Künstler Kader Attia hat "ihnen dieses Denkmal gewidmet. Die erlittenen Verletzungen sind bei ihm noch frisch, die Verstümmelungen sichtbar. Nach Kriegsende sollte es noch dauern, bis sich die Medizin auch darum kümmerte. Die ästhetische Chirurgie profitierte von ihren Erfahrungen. Attias Konzept der 'Reparatur' aber besteht gerade nicht im Verbergen, sondern Erinnern an die geschlagenen Wunden. Geboren als Kind algerischer Einwanderer in Daubigny bei Paris und aufgewachsen in Frankreich wie Algerien hat er ein Gespür für den weiterhin pochenden Schmerz."

Till Briegleb entdeckt für die SZ das versteckte Highlight der Venedig-Biennale: Der Schweizer Künstler Christoph Büchel hat die Fondazione Prada zu einem "bankrotten Pfandhaus" umgebaut, in dem sich "abertausende Exponate von Waffen bis zu Schmuddelheftchen, von ramponiertem Trödel bis zum echten Tizian" versammeln. Damit spielt er auf die Geschichte der Stiftung an, die von 1834 bis 1969 eine "Kreditanstalt für Arme" war, wie der Kritiker weiß: "Die versammelten Rückstände, die Büchel unter diesem Werktitel hier nun zu verramschen vorgibt, erzählen allerdings vordringlich vom Scheitern dieser Bemühung. Denn hätte der Tausch Pfand gegen Geld wirtschaftlichen Erfolg gebracht, wären die Einlagen wieder ausgelöst worden. Dass sie in den prächtigen Räumen mit ihren bemalten Decken und Wänden nun meist achtlos gestapelt herumliegen wie in einem Vorstadtflohmarkt (sogar das Tizian-Porträt der Königin von Zypern, die hier einst wohnte, hängt an einer vergilbten Supermarktverkleidung zwischen Kleiderbügeln, Eispickel und Trockenhaube) ist eine typisch ironische Spitze Büchels."

Weiteres: Wie einige seiner Kollegen steht Philipp Meier in der NZZ dem neuen "Code of Conduct" (unser Resümee), der für die nächste Documenta ausgerarbeitet wurde, kritisch gegenüber: "Mit diesem Manöver gaukelt die Documenta ein probates Instrument zur Verhinderung von Diskriminierung und Antisemitismus vor. Damit aber ist vor allem ein fauler Kompromiss mit jenen lautstarken Kritikern gefunden, die im Namen der sogenannten Kunstfreiheit Tausende von Unterschriften gegen klare und verbindliche Verpflichtungen gesammelt hatten." Im Tagesspiegel ist Dorothea Zwirner hin und weg vom neu eröffneten "Archiv der Avantgarden" (unser Resümee) in Dresden. Besprochen werden die Ausstellung "Gastarbeiter 2.0 - Arbeit Means Rad" in der nGbK Berlin (taz) und die Ausstellung "Die neue Generation kubanischer Fotograf:innen" im Willy-Brandt-Haus in Berlin (taz).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 11.05.2024 - Kunst

Cao Fei, Oz 01, 2022, Photograph, © Cao Fei 2024, Courtesy Sprüth Magers and Vitamin Creative Space


Wie werden die Städte der Zukunft aussehen, die von der Digitalisierung geprägt sind? Einen Vorgeschmack darauf bekommt FAZ-Kritikerin Laura Helena Wurth im Münchner Lenbachhaus in der Ausstellung "Meta-mentary" der chinesischen Künstlerin Cao Fei (die Webseite zur Ausstellung scheint leider gerade kaputt zu sein): "Sie baut theaterhafte Szenerien, in die man eintauchen kann. Da wird das oft gebrochene Versprechen auf Immersion eingelöst. Für ein paar Momente ist man mit ihrem ältesten Avatar China Tracy in RMB City, ihrem bisher umfangreichsten Projekt, unterwegs. Es war von 2009 bis 2011 in der Onlinewelt Second Life geöffnet. Das 'RMB City Projekt' war ein umfangreiches Stadtplanungsprojekt, wenn man so will, in dem erprobt wurde, wie ein digitales Leben aussehen könnte, das nicht losgelöst von der analogen Welt existiert. Später hat Cao Fei ein Video geschnitten, in dem sie die Entwicklung der Stadt nachzeichnet. In diesem Projekt wurde bereits Existierendes neu realisiert. Man konnte zum Beispiel architektonische Marksteine wie Rem Koolhaas' Sendezentrale von China Central Television erkennen ... Selbst ein großes Museum in Peking hatte eine eigene Filiale eingerichtet, dazu gab es Kunstinitiativen und Ausstellungen, bei denen die Stadtbewohner - Menschen, die im Second Life unterwegs waren - sich trafen."

Weiteres: Im Centre Pompidou Metz haben zwei Frauen Courbets Gemälde "Ursprung der Welt" mit "me too" besprüht, meldet der Standard. Das durch Glas geschützte Gemälde wird noch auf Schäden untersucht. Verantwortlich sein will die Performancekünstlerin Deborah de Robertis, die erklärte, sie habe die Attacke organisiert und eine dritte Aktivistin losgeschickt, eine Stickerei der französischen Künstlerin Annette Messager zu stehlen.

Besprochen werden außerdem die Ausstellung über das Bauhaus und den Nationalsozialismus in der Klassik Stiftung Weimar (taz, Welt), Kader Attias Ausstellung "J'accuse" in der Berlinischen Galerie (FR), eine Ausstellung mit Werken aus der Sammlung Harald Falckenbergs in der Potsdamer Villa Schöningen (Tsp) sowie die Ausstellung "Wälder. Von der Romantik in die Zukunft", die auf drei Museen verteilt ist: dem Senckenberg Museum und dem Deutschen Romantik-Museum in Frankfurt am Main und dem Sinclair-Haus in Bad Homburg (SZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 10.05.2024 - Kunst

"Halbherzig" nennt Boris Pofalla in der Welt die Reformen für die Documenta: Nach den großen Debatten des letzten Jahres (unsere Resümees), gibt es jetzt einen Code of Conduct, der allerdings nur für die Träger gilt. Die künstlerische Leitung, die entscheidet, was nun eigentlich ausgestellt wird, fällt nicht darunter, womit das ganze Unterfangen am eigentlichen Problem vorbeigeht, so Pofalla: "Der Beschluss des Aufsichtsrates erscheint als der Versuch, sich von möglichen Kontroversen schon einmal prophylaktisch zu distanzieren, indem man eine Brandmauer aus Gremien und Regeln gegenüber den Kuratoren errichtet. Hinterher kann man dann behaupten, sich doch an die Empfehlungen der Beratungsfirma gehalten zu haben. Dass man diese in einem so entscheidenden Punkt - die in einen Code of Conduct gegossene Verantwortung der Kuratoren - dann aber doch nicht umsetzt, spricht Bände." Stefan Trinks schließt sich in der FAZ der Skepsis an: "Die Frage bleibt aber, ob es mehr als ein Lippenbekenntnis sein kann, da bei dieser Konferenz im Vorfeld das tatsächliche Erscheinungsbild der Kunstwerke noch nicht annähernd feststehen wird."

Auch wenn die künstlerische Leitung künftig zumindest darlegen muss, wie sie Menschenwürde und Kunstfreiheit zugleich wahren will, sieht auch Jörg Häntzschel in der SZ Konfliktpotenzial: "Welcher Kurator, welche Kuratorin würde einen solchen Code unterschreiben? Und: Ist Kunst noch möglich, wenn sie Codes folgen muss? Klar ist jedenfalls, dass auch mit der jetzt beschlossenen Reform künftige Konflikte nicht wegorganisiert sind." Monopol zitiert eine Stimme, die das eigentliche Problem woanders verortet: "Der Kasseler Kunstwissenschaftler und Documenta-Kenner Harald Kimpel hält einen solchen Kodex für überflüssig. 'Für mich ist das Abverlangen eines Bekenntnisses zur Menschenwürde fast ein Verstoß gegen die Menschenwürde. Es ist nicht nur ein Ratlosigkeitszeugnis, sondern Teil einer herrschenden Misstrauenskultur.' (…) 'Das Hauptdilemma ist, dass man sich schon seit Langem von künstlerischen Inhalten verabschiedet hat, dass eine Entkunstung stattgefunden hat.' Die Documenta trage zwar noch ihren Namen, werde aber mit beliebigen Inhalten gefüllt. Kimpel bekräftigte daher sein Plädoyer, die Documenta nach sieben Jahrzehnten zu einem 'fulminanten Abschluss zu bringen und sie vor dem Schicksal zu bewahren, alle fünf Jahre als Kulturzombie reanimiert zu werden.'"

Im Kölner Museum Ludwig lässt sich Georg Imdahl (FAZ) von der Roni Horn-Retrospektive "Give Me Paradox or Give Me Death" bezirzen, die ihm ob ihrer Vielfalt fast wie eine Gruppenschau vorkommt: So "bespiegelt das Künstlerinnen-Ich seine Gender-Identität in einer Serie mit Selbstporträts, verdoppelt das Gesicht paarweise in Aufnahmen, die vieldeutig zwischen femininer und maskuliner Lesbarkeit oszillieren. Dann paart Horn in Bildern aus den Jahren 2008 und 2009 jeweils zwei Fotos aus unterschiedlichen Lebensphasen und demonstriert auf poetische Weise, dass nicht nur das geschlechtliche Ich fluide sein kann, worauf Horn Wert legt, sondern auch das psychologische Selbst im Lauf eines Lebens im Fluss bleibt. So einfach wie überzeugend zeigt sich die Künstlerin in einer Allegorie sämtlicher Lebensalter, die sie mit Momenten von Glück, Melancholie, Zweifel einfärbt. Nichts ist hier endgültig."

Weiteres: Der Fotograf Wolfgang Tillmans ist zu Gast im Zeit-Podcast "Alles gesagt?" und spricht über sein künstlerisches Leben und seine Kunstpraktiken. Der Kurator Carlo Ratti stellt seine Pläne für die kommende Archtitekturbiennale 2025 vor (Monopol). Außerdem besucht Monopol Leonie Herweg, die Gründerin und Kuratorin des Raum Grotto im Berliner Hansaviertel.

Besprochen werden: "Caspar David Friedrich. Unendliche Landschaften" in der Alten Nationalgalerie Berlin (FR), "Unknown Familiars" im Wiener Leopold-Museum (Standard), "Poesie der Zeit. Michael Ruetz Timescapes 1966-2023" in der Berliner Akademie der Künste (Tagesspiegel) und "Roy Lichtenstein. Zum 100. Geburtstag" in der Albertina Wien (Tagesspiegel).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 08.05.2024 - Kunst

Irmgard Sörensen-Popitz: Ihre Werbung und die Frau, Entwurf, Werbebroschüre für den Verlag Otto Beyer, Leipzig, 1934, Privatbesitz, © Stiftung Bauhaus Dessau

"Bauhaus und Nationalsozialismus" ist eine dreiteilige Ausstellung überschrieben, die derzeit in Weimar von der örtlichen Klassik-Stiftung organisiert wird. Laut FAZ-Autor Niklas Maak räumt die Ausstellung mit jenen Bauhaus-Verklärern auf, die die Kunstschule einseitig zum Hort der Aufklärung und des progressiven Kulturschaffens idealisieren. Tatsächlich war das Bauhaus von Anfang an auch von regressiven, esoterischen Ideen geprägt, nach 1933 dienten sich zahlreiche Absolventen dem Nationalsozialismus an. Obwohl die Ausstellung, wie Maak moniert, einige besonders krasse ideologische Verirrungen von Bauhauslern ausspart, entstehe insgesamt doch ein neues, differenziertes Bild: Man kann an der Geschichte des Bauhaus, "wenn man sie nicht, wie bisher, auf eine mitteldeutsche Heilsgeschichte hochdiverser, auf leichten Stahlrohrstühlen einherreitender Progressisten zurechtsägt, erkennen, wie eng Emanzipation und Unterdrückung, Technikglaube und Esoterik, der Traum vom 'neuen Menschen' und die Vernichtung aller anderen, Reform und Rassenhass, die Befreiung des Körpers und seine Unterjochung in modernen Sekten, zusammenhängen - und wie schnell das eine ins andere umschlägt: Auch darin war das Bauhaus ein sehr moderner und ein sehr deutscher Ort."

Gerhard Matzig widmet sich in der SZ unter anderem dem berüchtigten Buchenwald-Schriftzug "Jedem das Seine", der vom Bauhaus-Schüler Franz Ehrlich entworfen wurde, den die Ausstellung ebenfalls thematisiert: "Die typografisch moderne JEDEM-DAS-SEINE-Formgebung in schmiedeeisernen Versalien, erinnert an eine besonders abstruse Verbindung zwischen dem Bauhaus als hell leuchtender Moderne-Schmiede auf der Suche nach einem neuen Menschenbild - und dem an Unmenschlichkeit nicht mehr zu überbietenden Dunkel des Terror-Regimes der Nationalsozialisten. Jedem das Seine: Ehrlich, ein früher Bauhausschüler, hat die Lager-Perfidie im Bauhaus-Stil typografisch verdichtet. Modern, dynamisch. Blutrot sollte die Schrift in ihrer futuristischen Anmutung die Sphäre der 'Herrenmenschen' vom Elend der 'Minderwertigen' abgrenzen."

Christof Siemes besucht für die Zeit den Künstler Andy Goldsworthy, der mit Land-Art-Großprojekten bekannt geworden ist und nun erstmals eine Arbeit in Deutschland realisiert. Und zwar für Johann-Friedrich von der Borch, der einen Bauernhof seit Jahren systematisch zu einem Kunstort ausbaut. Entstehen soll "Hedge Work", ein Gewölbe aus über tausend Weißdornbüschen. Der Künstler legt persönlich Hand an: "Ich hatte nicht gedacht, dass ich selbst ein paar Tage in der Rinne stehen und graben würde. Ich bin jetzt 67 Jahre alt und glaubte, ich hätte in meiner Karriere einen Punkt erreicht, an dem ich nicht mehr selbst in die Grube kriechen muss. ... Am Ende ist aber immer das Ziel: Egal, wie viel Mühe es gemacht hat - es muss mühelos wirken. Die Erinnerung an das Graben wird für immer in meinem Körper stecken, und das wird 'Hedge Walk' zu einem stärkeren Werk machen."

Weitere Artikel: Nun hat es auch "L'Origine du monde" erwischt. Gustave Courbets Vulva-Gemälde wurde von MeToo-Aktivistinnen mit roter Farbe besprüht, wie unter anderem die FAZ berichtet. Schaden hat es wohl nicht genommen. Tobias Timm spricht in der Zeit mit der Gegenwartskünstlerin Anne Imhof. Das Centre Pompidou wird bald fünf Jahre lang geschlossen sein. Matthias Krupa berichtet in der Zeit, was aus der Sammlung und den Mitarbeitern wird.

Besprochen wird Rachel Harrisons Ausstellung "Bird Watching" in der Berliner Konrad Fischer Galerie (taz Berlin).
Stichwörter: Bauhaus, Goldsworthy, Andy

Efeu - Die Kulturrundschau vom 07.05.2024 - Kunst

In die Psychosen der amerikanischen Gesellschaft taucht Till Briegleb in der SZ ab: die Mike Kelley-Schau "Ghost and Spirit" im Museum K21 in Düsseldorf zeichnet diese Suche nach dem Zusammenhang zwischen "der Behauptung unerklärlicher Phänomene und den glänzenden Erscheinungen" nach, die Kelley vor allem in der Welt der Popkultur manifestiert sah, wie Briegleb weiß: "Zentrum der großen Ausstellung entfaltet sich eine skurrile Highschool-Prozession mit Basketball spielenden Mädchen, nackten Bodybuildern, einem schwarzen Conférencier und einer weißen Maria, mit Pferdepuppen und Kelley als Sportlehrer mit Trillerpfeife, begleitet von einer Band, die Märsche mit Noise Music mischt. Die filmische Dokumentation dieses festlichen Rituals zwischen Begehren und Disziplin bietet ein faszinierendes Schauspiel über die widerstreitenden Kräfte in der US-Unterhaltungskultur, die so gerne Faszination mit Ängsten und Unbehagen erzeugt."

Christiane Meixner will das Werk Kelleys im Tagesspiegel auf keinen Fall auf die Verarbeitung von Kindheitstraumata reduziert sehen, wie es Zeit seines Lebens (und auch nach seinem Suizid) noch geschah. Vor allem "seine 1978 begonnenen 'Ectoplasm Photographs' lassen den eigentlichen Impuls jener Kunst erkennen: Es ging um alles, woran man glaubt und die daraus resultierenden Abhängigkeiten."

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Yelizaveta Landenberger trifft für die FAZ den ukrainischen Künstler und linken Aktivisten David Chichkan, einen Street-Art Künstler, der Blätter mit Aquarellfarben bemalt, die er "von Bekannten in der ganzen Welt verteilen lässt", so Landenberger. Der Künstler agitiert für linke Ideen, auch, um das negative Bild der Linken zu verändern. Seine für das Nationalmuseum von Odessa geplante Ausstellung "Mit Bändern und Flaggen" wurde jedoch abgesagt, berichtet Landenberger, die das nicht nachvollziehen kann: "Hier glorifiziert er in den Aquarellbildern  linke Soldaten - Anarchisten, LGBTQ-Menschen, Feministinnen -, die aufseiten der Ukraine gegen die russischen Invasoren kämpfen. Dabei macht er Anleihen beim Monumentalstil des Sozialistischen Realismus, dessen Ästhetik zugleich durch Bänder und Flaggen in anarchistischen, feministischen, ukrainischen Farben. ... Seine eigenwilligen Tarnfleck-Aquarelle mögen nicht jedermanns Geschmack sein, doch Russland verherrlichen sie gewiss nicht - im Gegenteil."

Weiteres: Im Tagesspiegel-Interview mit Nicola Kuhn erklärt Nicolas Berggruen, warum er als neuen Sitz für seine Stiftung Arts and Culture Venedig ausgewählt hat, und warum Kunst noch nie so politisch war wie heute. Wie ihr Kollege aus der SZ (unser Resümee) sind auch FAZ-Kritiker Andreas Kilb und Nikolaus Bernau in der taz schwer beeindruckt von einer großen Ausstellung mit Werken des Renaissancemalers Maarten van Heemskerck, die im Kulturforum in Berlin zu sehen sind. In taz und Tagesspiegel berichten Andreas Hergeth und Dominik Lenze über die unsichere Zukunft der B.L.O-Ateliers in Lichtenberg. Besprochen wird die Ausstellung "There ist no there there" im MMK in Frankfurt am Main (taz).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 06.05.2024 - Kunst

Frank Stella's 'Harran II', 1967. Polymer and fluorescent polymer paint on canvas, 120 x 240 inches. Solomon R. Guggenheim Museum

Die Kritiker trauern um den amerikanischen Bildhauer und Maler Frank Stella. Seine Laufbahn, erinnert Till Briegleb in der SZ, "startete er mit der Bildsuche vom kleinstmöglichen Ausgangspunkt, dem 'Schwarzen Quadrat' von Malewitsch, um später zur buntestmöglichen Explosion des Gemäldes im Raum zu gelangen, wo Malerei wie raumfüllendes Chaos aussah". Die geschichtlichen Bezüge, vor allem auf die NS-Zeit, die Stella in seine Arrangements einbaute, erhielten nicht nur Lob, aber "die erklärte Absicht der Popkultur, die Nähe zum Kommerz zu feiern, anstatt ihn zu verschmähen, sah sich in Stellas minimalistischem Werk auf einem hohen Niveau befriedigt", so Briegleb. Der "Gefahr der Beliebigkeit der reinen Form" begegnete Stella "durch deren Verankerung in der Geschichte", weiß auch Stefan Trinks in der FAZ: "Die seit den Achtzigerjahren bunt lackiert und anarchistisch wild in den Raum ausgreifenden Metallreliefs etwa der 'Moby Dick'-Serie sind herausragende Beispiele einer abstrakten Kunst, die sich vom Text Herman Melvilles inspirieren ließ, ohne auch nur an einer Stelle illustrativ zu wirken. Die sich wie Papier einrollenden Blechformationen spiegeln psychische Energien von Captain Ahabs Jagd auf den weißen Wal wider, die martialische Variante der Romantiker-Suche nach der blauen Blume." Weitere Nachrufe in FR, NZZ, Welt, Berliner Zeitung und Tagesspiegel.

Ausstellungsansicht "Oliviero Toscani. Fotografie und Provokation". Foto: Susanne Völlm © ZHdK

Wer bei den Fotografien von Oliviero Toscani an "die Formel Menschenrechtskampf + Werbung = Zynismus" denkt, liegt nicht ganz falsch, meint Andrian Kreye in der SZ. Aber es ist eben auch nicht alles, kann er in einer Retrospektive des Fotografen im Zürcher Museum für Gestaltung sehen. Den meisten ist Toscani durch seine provokanten Werbebilder für die Marke Benetton bekannt, aber Kreye erkennt hier vor allen in den fotografischen Anfängen Toscanis "einen Humanismus", den dieser sich "nicht angelernt, sondern auf den Straßen von New York gebildet" hatte. In den Sechziger Jahren "zog es ihn in den Norden Manhattans, nach Harlem, wo ihn das Leben der schwarzen Amerikaner überwältigte. Da ist der Winkel seiner Objektive wieder auf Augenhöhe. Man sieht Hipster, Jiver, Cool Cats, all die Vorläufer der Moden und Subkulturen, die bis heute die Popgeschichte prägen. Er tauchte tief ein in diese Gesellschaft, gewann dort Freunde und einen Blick, der hinter dieser Mode-Avantgarde der Straßen eine soziale Bewegung erkannte."

Weitere Artikel: Konstantin Akinscha deckt in der FAZ auf, wie Russland durch die Ausstellung "Avantgarde in der Wüste" in der Universität Ca' Foscari auf Umwegen bei der Biennale mitmischt: Kuratorin Silvia Burini machte in der Vergangenheit durch ihre unerschütterliche Russlandtreue von sich reden, so Akinscha. In der taz unterhält sich Bettina Maria Brosowsky mit der iranischen Künstlerin Farzane Vaziritabar über deren neuestes politisches Werk - eine Skulptur aus Pferdeäpfeln.

Besprochen werden eine Ausstellung mit Werken von Julie Wolfthorn in der Galerie des vdkb1867 in Berlin (taz), die Ausstellung "Wer hat Macht? Körper im Streik" im Frankfurter Kunstverein mit Werken von Gintaré Sokelyté und Sonja Yakovleva (FR), die Ausstellungen "Paris 1874. Inventer l'impressionnisme" und "Ein Abend mit den Impressionisten, Paris 1874" im Musée d'Orsay in Paris (tsp).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 04.05.2024 - Kunst

Isabel Quintanilla konnte wirklich alles malen, schwärmt Niklas Maak in der FAS, die komplexesten Lichtbrechungen, das Knorpelige und knackend Trockene eines Schinkens, das Bröselige von rohem Blumenkohl, die Feuchtigkeit im Inneren eines Granatapfels.." Vor allem aber war sie eine der ersten, die die alltäglichen Dingen ihrer Lebensrealität für "bildwürdig" erklärte, wie Maak in einer Retrospektive im Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid bewundern kann: "Es ist eine Malerei, die es schafft, nicht nur das Auge, sondern auch den Geschmacks- und den Tastsinn zu aktivieren. Es geht darum, zu sehen, wie eine Welt sich anfühlt. Der Stahlgriff eines Kühlschranks wird mit allen Reflexen so liebevoll gemalt wie früher nur das Gesicht eines Fürsten. Das Licht verzaubert die Alltagsdinge, ein lautloser Surrealismus kriecht aus ihnen heraus. Die Nähmaschine und der Stoffbeutel in einem Gemälde sehen plötzlich aus wie zwei Wesen, die sich scheu voreinander verneigen, die Tür des Küchenschranks, die halb offen steht, wirkt wie der Eingang in den Hades."

Weitere Artikel: Die FAZ trauert um den Karikaturisten Walter Hanel. Karen Krüger schildert dort den Besuch von Papst Franziskus im Frauengefängnis auf der Insel Giudecca, auf der sich der Vatikan-Pavillon der diesjährigen Biennale befindet. Marcus Woeller hat sich für WamS den von der venezianischen TBA21-Stiftung eingerichteten "Ocean Space" in der Renaissancekirche San Lorenzo angesehen, mit dem auf die Auswirkungen des Klimawandels aufmerksam gemacht werden soll. In der FAZ meldet Benno Herz, dass das Haus der Kunsthändlerin Galka Scheyer in Los Angeles zum Verkauf steht.

Besprochen werden eine Rebecca Horn-Retrospektive im Haus der Kunst in München (Welt), die Ausstellung "Ohne Lippen sind die Zähne kalt" mit Werken von Cornelia Schleime in der Galerie Judin in Berlin (FR, tsp) die Ausstellung "Squares" mit Werken von Oskar Fischinger in der Berinson-Galerie in Berlin (Welt), die Ausstellung "J'accuse" von Kader Attia in der Berlinischen Galerie (BlZ), die Ausstellung "Social Geometry" mit zwei Videoinstallationen des Medienkünstlers Clemens von Wedemeyer in der Berliner Galerie KOW (tsp).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 03.05.2024 - Kunst

Im Berliner Georg Kolbe Museum und der Ausstellung  "Noa Eshkol - No Time To Dance" lässt sich Dorothea Zwirner (Monopol) von der schmerzhaften Aktualität der israelischen Tänzerin, Choreografin und Künstlerin überzeugen. Bekannt ist sie neben dem Tanz vor allem für ihre Wandteppiche: "Der Titel 'No Time to Dance' beruht auf einem Zitat von Noa Eshkol von 1973, als einer ihrer Tänzer zum Jom-Kippur-Krieg eingezogen wurde. Damals, vor fünfzig Jahren, unterbrach sie ihre Bewegungs-Arbeit, um sich stattdessen mit ihrem Ensemble den großen Wandteppichen aus Stoffresten zu widmen. Offenbar bedürfen wir nach dem 7. Oktober 2023 mehr denn je solch universeller Sprachen der Verständigung und gemeinschaftlicher Arbeitsweisen, wie sie die Künstlerin Noa Eshkol entwickelt hat. Wie universell und aktuell ihr Ansatz ist, zeigt sich in der Ausstellung nicht zuletzt in den expliziten Bezugnahmen zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler wie Sharon Lockhart, Omer Krieger oder Yael Bartana auf ihr Werk."

Katharina Deschka (FAZ) hat sich in die Opelvillen Rüsselsheim begeben, um dort die Ausstellung "Alice Springs - Retrospektive" zu sehen, die die Fotografien der unter Pseudonym auftretenden June Newton zeigt. Im Vergleich mit ihrem berühmten Ehemann Helmut Newton steht sie um nichts zurück, versichert Deschka: "Ob die Modeschöpfer Jean Paul Gaultier, Yves Saint Laurent, Karl Lagerfeld, ob die Modekolumnistin Diana Vreeland oder Filmgrößen wie Billy Wilder und Fellini - Alice Springs gelang es, sie authentisch festzuhalten. Mit einem Lächeln, ernst oder arrogant und mit verschränkten Armen blicken sie den Betrachter aufmerksam an. Dies hinterlässt den vielleicht stärksten Eindruck: dass durch diese Porträts ein Dialog entsteht, der über den Augenblick der Aufnahme hinaus bestehen bleibt. Menschen sehen uns an."

Außerdem: Die Fototriennale Ray hat begonnen, Freddy Langer ist in der FAZ nicht recht überzeugt von dem Gedanken, die verschiedenen Ausstellungen im Rhein-Main-Gebiet zeitversetzt beginnen zu lassen, das diene doch eher einer Ökonomie der Aufmerksamkeit als der Fotografie selbst, meint er. Und Monopol berichtet vom Vatikan-Pavillon auf der Biennale, der durch den Papst eröffnet wurde.

Besprochen werden: "Volker Stelzmann: Dickicht" in der Galerie Poll (Berliner Zeitung) und "Lee Scratch Perry" im Cabaret Voltaire (NZZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 30.04.2024 - Kunst

Maarten van Heemskerck, Blick auf das Forum Romanum, Detail, um 1532-1536, Vorzeichnung in schwarzer Kreide, Feder in Braun, braun und grau laviert © Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Volker-H. Schneider

Überwältigt ist Gustav Seibt in der SZ vom Werk des niederländischen Malers Maarten van Heemskerck, das er nun in einer Ausstellung im Kulturforum in Berlin zum ersten Mal in Gänze bewundern darf. 1532 begab sich der Maler nach Rom und begann "alles, was mit Kunst und Vergangenheit zu tun hatte, zu zeichnen", so Seibt: "Rom, seine Ruinenwelt wird da zu einer Phantasmagorie in tiefgestaffelten, lichtperspektivischen Kunstlandschaften, in denen man sich stundenlang verlieren möchte. Maarten ist einer Begründer der neuzeitlichen Ruinenromantik, so wenig er Stimmungszeichner ist. Ruinen gab es Rom nicht nur aus der Antike, sondern eben auch des päpstlichen Baubooms wegen - die Ruine bekam einen doppelten Richtungssinn ins Vergangene und Künftige. Dazwischen Vegetation, Tiere, darüber Himmel und Licht. Das Widerspiel von kleinteiliger Treue und Weite ist ein unerhörter Reiz - Maarten kann halbe Blätter leer lassen, und die Leere atmet."

Weiteres: Stephanie Grimm besucht für die taz die Ausstellung  "The Culture" in der Frankfurter Schirn, die den Zusammenhang zwischen Hip Hop und Kunst beleuchtet. In diesem Zusammenhang untersucht Julian Weber einen eventuellen Fall von Ideenklau: Hat Frankfurt einfach ein "Container-Soundsystem" des Konzeptkünstlers Nik Nowak übernommen? Besprochen wird eine Retrospektive von Rebecca Horn im Haus der Kunst in München (tsp) und eine Retrospektive des Fotografen Chris Killip in der Deutsche Börse Photography Foundation Eschborn (FR).
Stichwörter: Heemskerck, Maarten van, Rom

Efeu - Die Kulturrundschau vom 29.04.2024 - Kunst

Hans Feurer: Painted by Kodak I (Gitta Saxx), Seychelles, 1988. Foto: Palazzo Franchetti.

Fast in jeder Kirche in Venedig lässt sich das Bild einer stillenden Madonna finden, stellt FAZ-Kritiker Stefan Trinks fest. Weil es in der Renaissance kaum nackte, weibliche Modelle in den Ateliers gab, wirken die Darstellungen der Frauenkörper häufig etwas unbeholfen, so Trinks. Das wurde später natürlich anders, wie er in der Ausstellung "Breasts" im Palazzo Franchetti beobachten kann, die die Geschichte des "Brust-Bildes" in der Kunst auffächert. Eine moderne "gottgleiche Himmelskönigin" bewundert Trinks beispielsweise in Christopher Bucklows Fotogramm "Tetrarch (C.S.)": "Claudia Schiffer vor nachtschwarzem Hintergrund, deren auratisch glimmende Silhouette in der bearbeiteten Fotografie mit unzähligen pointillistisch gesetzten Lichtpunkten angefüllt ist - bei aller Verehrung ein ungemein subtiles Werk. Ausgehend von der Idee der alten Kulturen, von den Assyrern bis zu den Griechen, Sternenkonstellationen menschliche Form zu verleihen, intarsiert Bucklow der für ihn himmlischen Schiffer durch überlagernde Belichtung den Schattenriss mit insgesamt 25.000 Sternenpunkten auf lichtempfindlichem Fotopapier."

Weiteres: Der Tagesspiegel meldet mit dpa, dass Papst Franziskus (als erster Papst in der Geschichte) die Biennale in Venedig besucht hat. Besprochen werden die Ausstellung "Modigliani. Moderne Blicke" im Museum Barberini in Potsdam (FR) und die Ausstellungreihe "The Dark Rooms", die an unterschiedlichen Orten in Berlin stattfindet (tsp).