21.01.2009. Am 19. Januar wurden der Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow und die Journalistin Anastassija Baburowa in Moskau auf offener Straße erschossen. Ein Linkdossier zu Reaktionen in der russischen Öffentlichkeit.
Am Montag Mittag wurden der Rechtsanwalt
Stanislaw Markelow und die Journalistin
Anastassija Baburowa von der Wochenzeitung
Nowaja Gaseta im Zentrum von Moskau auf offener Straße erschossen. Der Anschlag galt offenbar dem 34-jährigen Anwalt. Die 25-jährige Baburowa wurde Augenzeugen zufolge unmittelbar darauf angeschossen und erlag später ihrer Verletzung. Beide hatten kurz zuvor eine Pressekonferenz verlassen, auf der Markelow gegen die vorzeitige Haftentlassung des ehemaligen Offiziers Jurij Budanow
protestiert hatte. Markelow argumentiert in seiner Erklärung, die vorzeitige Freilassung Budanows untergrabe mühsam gewonnenes Vertrauen der Tschetschenen in die Gerichte und spiele letztlich den Separatisten in die Hände. Budanow war der ranghöchste Offizier, der wegen Verbrechen während des Tschetschenienkriegs verurteilt wurde. Markelow hatte die Eltern der von Budanow ermordeten Tschetschenin Elsa Kungajewa vertreten.
Die russische Presse
vermutet mehrheitlich, dass das Attentat mit Markelows Anwaltstätigkeit zusammenhängt. Wie die Zeitung
Kommersant und das Internet-Portal
Polit.ru berichten, hatte Markelow zuvor Drohungen erhalten, deren Quelle jedoch unklar sei. Ein Zusammenhang mit dem Fall Budanow wird ebenso vermutet wie angezweifelt.
Die meisten Beiträge erinnern an die Tätigkeit Markelows als Menschenrechtler und Anwalt in mehreren bekannten Fällen, die ein Motiv für die Tat liefern könnten. So hatte Markelow weitere Fälle von Verbrechen aus dem Tschetschenienkrieg verhandelt und dabei unter anderen auch die vor zwei Jahren ermordete Journalistin
Anna Politkowskaja vertreten. Zuletzt war er als Anwalt des im November vorigen Jahres überfallenen Chefredakteurs einer Moskauer Vorstadtzeitung,
Michail Beketow, hervorgetreten, der die örtliche Stadtregierung kritisiert hatte (
hier ein Auftritt Markelows auf einer Versammlung, die auf diesen Fall aufmerksam machen wollte). Ein Überblick über seine Anwaltstätigkeit gibt auf Englisch das
Portal des von Markelow gegründeten und geleiteten "Instituts der Rechtsstaatlichkeit".
Sehr persönlich gehaltene Nachrufe haben
Aleksandr Tscherkassow, leitendes Mitglied der Menschenrechtsorganisation Memorial, sowie die Journalistin
Soja Swetowa im unabhängigen Internetmagazin "Tägliches Journal"
veröffentlicht. Swetowa
verweist dabei auch auf den zeitlichen Zusammenfall mit dem gerade vor dem Abschluss stehenden Prozess um den Mord an
Anna Politkowskaja. Weder der Mörder war gefasst worden, noch konnten im Prozess die Auftraggeber entdeckt werden.
In Berichten über diesen Prozess, die vor allem im
Täglichen Journal (zuletzt
hier und
hier), in der
New Times und in Politkowskajas Zeitung
Nowaja Gaseta erschienen sind, war wiederholt auf Ungereimtheiten im Prozessverlauf aufmerksam gemacht worden. Er gilt vielen Beobachtern als Test für das Justizsystem im gegenwärtigen Russland. Soja Swetowa
diskutiert ihn auch in Zusammenhang mit der jüngst beschlossenen Einschränkung der Funktion von Geschworenengerichten, die nun für "Verbrechen gegen den Staat" nicht mehr zuständig seien. Auch der Bürgerrechtler
Lew Ponomarew kritisiert in einem "Der Tod des Juristen" betitelten Artikel vom 19. Januar die Gesetzesänderung als fundamentale Einschränkung der gerichtlichen Unabhängigkeit. Mit dem Titel war nicht Markelow gemeint. Dieser hatte nur wenige Tage zuvor der nun ebenfalls ermordeten Anastassija Baburowa ein Interview zum gleichen Anlass gegeben, das
heute in der
Nowaja Gaseta erschienen ist. Er verweist hier auf die europäische Praxis, in der es vergleichbare Gesetzesänderungen nur in Spanien und Nordirland wegen des Terrorismusproblems gegeben habe, und fragt sich, was dies für Russland bedeute.
Eine "
Jagdsaison" auf unabhängige Stimmen sei vor einigen Jahren eröffnet worden, die nun auch einen Anwalt als Opfer gefordert habe, schreibt Swetowa. Die Hauptsache sei es zu klären,
wer sie eröffnet hat. Politkowskaja und Baburowa haben für die
Nowaja Gaseta gearbeitet, Markelow hat die Zeitung in gerichtlichen Fällen vertreten. Markelow und Politkowskaja haben schon früher in einzelnen Fällen zusammengearbeitet. Der Internetauftritt des Oppositionspolitikers
Garri Kasparow präsentiert einen Film mit englischen Untertiteln der in den Niederlanden lebenden Regisseurin
Mascha Nowikowa über die Tätigkeit Anna Politkowskajas, in dem auch die Eltern Elsa Kungajewas zu Wort kommen.
Ole Christian Kröning