Magazinrundschau

Lass die anderen Soldaten nicht zuschauen

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
04.06.2024. Wired untersucht am Beispiel des indischen Wahlkampfs, wie Wahlen durch Deepfakes und KI beeinflusst werden können. Der New Yorker schildert den Einfluss Mexikos auf die amerikanischen Präsidentschaftswahlen. Desk Russie beleuchtet die "Putinophilie" der Republikaner und der amerikanischen Wählerschaft. New Internationalist schildert das Elend der sudanesischen Frauen im Bürgerkrieg. Der Guardian lauscht den Problemen der jungen Elite Kenias. Die LRB liest Adorno.

Wired (USA), 03.06.2024

Einflussnahme auf Wahlen durch Deepfakes und KI wird bei uns noch als drohendes Szenario diskutiert. Im aktuellen indischen Wahlkampf wird diese Strategie bereits umarmt - wenn auch im gesetzlich regulierten Rahmen und - zumindest, wenn es legal sein soll - nur zur Eigenwerbung. So etwa in Form von personalisierten Video Calls, bei denen die angerufene Person im Glauben gelassen wird, mit einem prominenten Politiker persönlich gesprochen zu haben, berichten Nilesh Christopher und Varsha Bansal. Eine einzelne Firma etwa, die diesen Service anbietet, "führte während der zwei Wochen vor der Wahl in den südlichen Staaten von Telangana und Andhra Pradesh 25 Millionen personalisierte KI-Anrufe durch. Während Stadtbewohner unangekündigte Telefonanrufe lästig finden, erzählten die politischen Berater, mit denen wir sprachen, dass Landbewohner nach Anrufen von Leuten in hohen Positionen oft das Gefühl hätten, wichtig genommen zu werden. ... Die Vorzüge dieser Technologie, wenn man sie richtig anwendet, liegen auf der Hand: personalisierte Ansprache und das im riesigen Maßstab. Dafür auf echte Menschen in Callcentern zurückzugreifen, kostet vier Rupien pro Anruf, achtmal mehr als KI-Anrufe. ... Traditionelle, unpersönliche und vorab aufgenommene Robo-Anrufe sind günstiger, bringen aber auch nicht so viel. Nach den Angaben eines Anbieters halten KI-Anrufe die Angerufenen länger am Apparat. ... 'Zwischen Wähleransprache, den Kandidaten menschlicher wirken zu lassen und Täuschung liegt ein schmaler Grat, der viel damit zu tun hat, wie vertraut wir mit einer Technologie sind', sagt Sam Gregory von der Nonprofit-Organisation Witness. Wir sind daran gewöhnt, personalisierte Emails und Briefe zu erhalten, aber Stimmnachrichten und Videos sind nochmal eine andere Sache." Divyendra Singh Jadoun, dessen Firma solche Deepfakes erstellt, "mag die Zustimmung der Politiker haben, für die er arbeitet, aber die Wähler, die sie kontaktieren, haben vielleicht keine Ahnung, dass sie mit einem Klon sprechen. Kurz vor dem Ende der Wahlen in Indien bewegt sich die größte Demokratie der Welt in eine ungewisse, von KI angetriebene Zukunft."
Archiv: Wired

New Internationalist (UK), 21.03.2024

(via Africa is a Country) In jüngster Zeit sind Bilder aufgetaucht, die sudanesische Frauen zeigen, die sich bewaffnen und das Schießen lernen. Das hat viel damit zu tun, dass der Staat sie gegen die sexuellen Übergriffe im Krieg des Militärs gegen die islamistischen Milizen der Rapid Support Forces (RSF) nicht schützt, berichtet Raga Makawi: "In den ersten neun Monaten des Krieges häuften sich Berichte über ausufernden sexuellen Missbrauch. Mehrfach wurde von männlichen Verwandten berichtet, die entweder getötet oder gefoltert wurden, wenn sie ihre Frauen, Mütter oder Schwestern verteidigen wollten, die in ihrer Gegenwart von RSF-Angreifern vergewaltigt wurden. Die soziale Stigmatisierung von Vergewaltigungen führt aber auch zu gewalttätigen präventiven Reaktionen von und gegen Frauen, die von Zwangsverheiratungen, manchmal mit RSF-Kämpfern, bis hin zum Selbstmord reichen. Lokale Organisationen, die vor Ort in Khartum über den Sudan berichten, erklären, dass die Binnenvertreibung vor allem durch die Angst vor unprovozierten Repressalien der RSF gegen Frauen und Mädchen ausgelöst wird. Die Aktionen der Miliz lassen auf extreme Demütigungstaktiken schließen, die denen während des Völkermords in Darfur nicht unähnlich sind. Ihr Verhalten scheint der seit langem verfolgten Politik der verbrannten Erde der Miliz zu entsprechen. In einem weit verbreiteten Beitrag in den sozialen Medien rühmte sich ein RSF-Mitglied, dass Frauen wie auch jeder Besitz in den eroberten Gebieten als Kriegsbeute gelten und nach dem Kriegsrecht ihr ausschließliches und unbestreitbares Recht sind. ... In ihrem preisgekrönten Bericht über die Epidemie sexueller Gewalt nach Ausbruch des Krieges im April 2023 beschrieb die sudanesische Journalistin Dalia Abdelmonim, wie sudanesische Frauen sich auf einem Terrain der Unsicherheit und Gesetzlosigkeit bewegen, das Khartum in Abwesenheit von Strafverfolgungsbehörden umgibt. In dem Bericht wird ein Vergewaltigungsopfer zitiert, das flehte: 'Lass die anderen Soldaten nichts sehen', ein verzweifelter Versuch, den Schaden zu minimieren."

New Yorker (USA), 10.06.2024

Mexiko und die USA befinden sich in einem dauerhaften Tauziehen um die Frage, wie mit Migranten umzugehen ist - Mexiko war bis Mitte der Nullerjahre vor allem Herkunftsland jener Flüchtlinge, deren Ziel die USA war, mittlerweile ist es verstärkt Transitstation für Guatemalteken, Venezolaner und Kubaner, erzählt Stephania Taladrid in ihrer Reportage, die vor den Wahlen in Mexiko geschrieben wurde. Der bis dahin amtierende linke mexikanische Präsident López Obrador, oft AMLO genannt, der nach der Präsidentschaftswahl am Sonntag sein Amt an seine Wunschnachfolgerin Claudia Sheinbaum abgibt, stand laut Taladrid mit Trump in einem Verhältnis gegenseitiger Zugeständnisse: "López Obrador, dessen Amtszeit sich dem Ende zuneigt, wird zunehmend für seine Rücksichtnahme auf die Streitkräfte kritisiert; ihm wird auch vorgeworfen, die demokratischen Institutionen zu untergraben und zu versuchen, die Wahlregeln zu unterlaufen. Doch wie Sarukhán, der ehemalige Botschafter, sagte, 'hört man kaum einen Pieps aus Washington'. Er deutete an, dass Biden sich bewusst sei, dass die mexikanische Regierung sein Schicksal beeinflussen könnte. 'AMLO wird bis zum 1. Oktober an der Macht sein, und er hat die Möglichkeit, den Ausgang der US-Wahl zu beeinflussen, indem er die Ventile [der Flüchtlingsströme] zum richtigen Zeitpunkt öffnet', sagte er. Warum López Obrador Trump zum Sieg verhelfen sollte, ist eine Frage der Spekulation. Unter vier Augen äußerten sich die von mir befragten mexikanischen Beamten beunruhigt über die Aussicht, wieder mit Trump verhandeln zu müssen. Neben anderen Bedenken steht der Handelspakt 2026 zur Überprüfung an - ein Datum, das beide Seiten befürwortet haben, wie mir ein Beamter sagte, weil alle davon ausgingen, dass AMLO und Trump dann sicher aus dem Amt sind. 'Es war vielleicht eine Fehlkalkulation', sagte Gerónimo Gutiérrez, Mexikos Botschafter in den USA in den ersten Jahren der Trump-Regierung. 'Oder wir haben nicht mit einem Szenario gerechnet, in dem Trump vier Jahre später ein Comeback feiern könnte. Einige wiesen auf eine unausweichliche Ironie hin: Trumps Beharren darauf, Mexiko zu zwingen, die Last der Einwanderungskontrolle zu übernehmen, könnte dazu beitragen, ihn wieder an die Macht zu bringen. 'Man kann eine durchsetzungsorientierte Einwanderungspolitik nicht an andere Länder auslagern, weil diese Länder die Einwanderungsströme als Waffe benutzen können', sagte Sarukhán."

Weitere Artikel: Die Autorin Rivka Galchen überlegt, ob wir dem Untergang geweiht sind. William Finnegan porträtiert den Surfer Jock Sutherland. Merve Emre fragt sich, was Freud uns noch zu sagen hat. Jackson Arn besucht die Jenny-Holzer-Ausstellung im Guggenheim. Und Richard Brody sah im Kino Richard Linklaters "Hit Man".
Archiv: New Yorker

Persuasion - Substack, Yascha Mounk (USA), 01.06.2024

Die Politikwissenschaftler Yascha Mounk und William Gaston spekulieren im Gespräch über verschiedene Szenarien nach dem strafrechtlichen Urteil gegen Donald Trump. In diesem Punkt ist Gaston allerdings eher zurückhaltend. Er misst dem Urteil nicht allzu große Bedeutung für die Präsidentschaftswahl zu. Als Antwort auf die Frage aber, wie die arbeitende Wählerschaft, die in den letzten zwei Jahrzehnten massiv zur Rechten abgewandert ist, zurückgewonnen werden kann, fordert Gaston dezidiert auf, sich einen wichtigen Aspekt der politischen Gegenwart bewusst zu machen: "Ich glaube, dass Menschen, die es gewohnt sind - und damit meine ich analytisch -, einen quasi marxistischen Analyserahmen zu verwenden, nach dem die Wirtschaft die Basis ist und der Rest der Überbau, sich an die Tatsache gewöhnen müssen, dass wir jetzt in einer Zeit leben, in der kulturelle Fragen für das politischen Verhalten ebenso grundlegend sein können wie wirtschaftliche Fragen." Gaston betont immer wieder den kulturellen Aspekt in der Politik, weil er die jüngste Geschichte als ressentimentgeladen sieht, eine Perspektive, die global wie lokal relevant sei: "Es gab viele Menschen, die sich nicht vorstellen konnten, dass Wladimir Putin die Regeln brechen würde, die nach dem Zweiten Weltkrieg für Europa aufgestellt wurden, aber er hat es getan. Und warum? Ich würde sagen, wegen der aufgestauten Ressentiments (…). Aufgestaute Ressentiments und Kränkungen über den Zusammenbruch der Sowjetunion und darüber, dass Russland nicht mehr das ist, was es zu Zeiten der Sowjetunion war. (…) Staatsführung unter diesen Umständen erfordert Sensibilität für das Gefühl des Verlustes, das große Teile einer Bevölkerung aus dem einen oder anderen Grund empfinden können. Kluge Staatsmänner sollten daher alles tun, um die Konzentration von Verlusten zu minimieren. (…) Ende der 90er Jahre hatten wir über 18 Millionen Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe. Zehn Jahre später waren es nur noch etwas mehr als 12 Millionen. Was dachten wir, wie sich die Menschen fühlen würden, die diese Verluste hinnehmen mussten, und vor allem die Gemeinden, die diese Verluste hinnehmen mussten?"
Stichwörter: Trump, Donald

Istories (Lettland / Russland), 14.05.2024

Russische Oligarchen können europäische Sanktionen am einfachsten in den Vereinigten Arabischen Emiraten umgehen, findet Istories bei einer umfangriechen Recherche heraus: "Der Steueroasenexperte James Henry verglich die VAE mit einer Bar auf einem fernen Planeten im Film 'Star Wars': 'Man kommt herein und rechts von einem sitzen die Kleptokraten, links die Oligarchen, in der Mitte die Geldwäscher und im Hintergrund die schmutzigen Händler russischer Rohstoffe, die alle diesen Ort nutzen, um die Sanktionen zu umgehen. Und alle profitieren von der völligen finanziellen Geheimhaltung'. Und doch ist Dubai alles andere als ein entfernter Planet." Außerdem stellt Istories ein bekanntes Beispiel für die Nutzung dieser Steueroase durch russische Beamte vor. "Den durchgesickerten Daten zufolge gehörten zwei Wohnungen in einem Apartmenthaus dem Unternehmer und Immobilienentwickler Alexander Udodow, dem ehemaligen Schwager des kürzlich wiederernannten russischen Ministerpräsidenten Michail Mischustin. Er heiratete 2008 die Schwester des Ministerpräsidenten, Natalia Stenina, von der er sich 2020 trennte. Während der Geschäftsmann einen Teil seines russischen Besitzes an die Familie Mischustin verschenkte, zeigte er sich in Dubai, wo sein Wohnungsbesitz auf fast 2 Millionen Dollar geschätzt wird, nicht so großzügig. Sein größtes Apartment im 13. Stock der Marina Residences 3 ist über 200 Quadratmeter groß und wird auf rund 1 Million Dollar geschätzt. Udodov behielt diese Immobilie (und vermietete sie an einen ägyptischen Geschäftsmann), verkaufte aber die beiden anderen - eine im selben Komplex und eine im Hercules Tower - bis Februar 2023. In einer früheren Veröffentlichung von Immobiliendaten aus Dubai wurde nur Udodovs Wohnung in den Marina Residences mit einem Wert von 600.000 Dollar genannt."
Archiv: Istories

Guardian (UK), 21.05.2024

In einer Reportage gibt Carey Baraka uns einen kleinen Einblick in das Leben der jungen Reichen und Schönen Kenias. Ihre Eltern sind wohlhabend genug, sie auf amerikanische oder europäische Universitäten zu schicken. Einige kehren danach zurück, wissen dort aber oft nicht so recht, was mit sich anfangen, wie ein mitfühlender Baraka schreibt: "So viele von ihnen hatten davon geträumt, ihre Communities mitzugestalten oder Künstler zu sein. Sie hatten für ihre College-Zeitschriften geschrieben, Galerieausstellungen organisiert, Theaterstücke aufgeführt - aber jetzt, zurück in Kenia, sehen sie sich außerstande, die Menschen zu werden, die sie sein wollten. Sie spüren den Druck des Abschlusses, einen Druck, der, wie Audrey und Bilha mir erzählten, bedeutet, dass sie einen hochrangigen Job finden mussten, der dem hochrangigen Abschluss entspricht. Manchmal reicht das immer noch nicht aus. Sie sehen sich ehemalige Klassenkameraden an, die in New York im Finanzwesen oder in Unternehmensberatungen arbeiten, und haben das Gefühl, dass sie zurückgelassen wurden und den Rückstand nie aufholen werden." Andere bleiben gleich fort, wie Nyangie, die in den USA im Finanzwesen arbeitet: "Ich fragte Nyangie, ob sie in Erwägung ziehen würde, zurück nach Kenia zu gehen. 'Nur wenn ich viel Geld verdienen würde', sagte sie. Auf jeden Fall wollte ihre Mutter nicht, dass sie zurückzieht. Sie wollte, dass Nyangie und ihre älteren Brüder sich irgendwo anders ein Leben aufbauen. Für Nyangie wurde dies dadurch erleichtert, dass sie die Art und Weise hasste, wie Kenia regiert wurde. Aber sie hasst die USA noch mehr, sagte sie. Ich fragte mich, wie wahr das ist. Sie hat sich entschieden, dort zu bleiben, und es kommt mir so vor, als ob sie versuchen würde, beides zu haben. Sie hasse die Waffen, betont sie, und den Raubtierkapitalismus. 'Wenigstens respektiert der Kapitalismus in Kenia die Heiligkeit des Dezembers. Nach dem Jamhuri-Tag geht nichts mehr', sagt sie in Anspielung auf Kenias Unabhängigkeitstag, den 12. Dezember. 'Wenn man es bis zum Jamhuri-Tag nicht geschafft hat, war es unwichtig.' (Als ich sie einige Monate später zu ihrem erklärten Hass auf die USA befragte, sagte sie: 'Solange ich noch jung bin, bin ich bereit, mit dem Raubtierkapitalismus zurechtzukommen, wenn ich dadurch die Zukunft erreiche, die ich mir wünsche, aber die Rückkehr ist definitiv das Endziel.'"
Archiv: Guardian
Stichwörter: Kenia

Desk Russie (Frankreich), 03.06.2024

Laurence Saint-Gilles beleuchtet die "Putinophilie" der Republikaner und der amerikanischen Wählerschaft - ein relativ "neues Phänomen, das weitgehend Donald Trump zuzuschreiben ist, nachdem er 2016 mit Hilfe des Kremls zur Wahl stand". Denn Trump hat, wie Saint-Gilles schreibt, in großem Maße dazu beigetragen, Putin bei den republikanischen Massen zu rehabilitieren, und mit Hilfe bedeutender Finanzierungen aus Moskau zugelassen, dass sich die russische Propaganda im Netz und in den Medien ungehindert entfalten konnte. Der massive Informationskrieg des Kremls trägt seit einiger Zeit schon Früchte, die Fake-News und Verschwörungstheorien, die die "Trollfabriken des verstorbenen Prigoschin" immer noch verbreiten, sind längst in die Köpfe der MAGA (der "Make-America-Great-Again"-Anhänger) eingesickert, meint Saint-Gilles: "So erscheint Putin im MAGA-Universum weder als autoritärer und aggressiver Diktator noch als Bedrohung für die amerikanische Demokratie, ihre Vormachtstellung und die Werte der westlichen Welt. Er verkörpert dort den Verbündeten, der Donald Trump helfen wird, einen Sieg gegen ihren wahren Feind zu erringen - einen inneren Feind - die 'Woke-Ideologie' - den neuen 'Totalitarismus', der die westliche Zivilisation bedroht. Obwohl Putin immer wieder seine Abneigung gegen den Westen und seine Übertretung der christlichen Werte bekundet, sehen sie in ihm den 'Anti-Woke'-Führer, wie Steve Bannon ihn nennt, der die jüdisch-christliche Zivilisation retten und erneuern wird. Diese Ideen werden von ultrakonservativen Ideologen wie dem Kolumnisten des American Conservative, Rod Dreher, klar zum Ausdruck gebracht. Er wendet sich an die neuen 'Crunchy Conservatives', die religiös sind, ein genügsames Leben führen und sich für die traditionelle Familie einsetzen, die 'Burke-Anhänger in Birkenstocks, Bio-Bauern, die Waffen befürworten, traditionelle evangelikale Viehzüchter und Mütter, die zu Hause unterrichten, die Amerika oder zumindest die Republikanische Partei verändern werden'. Dieser ehemalige Methodist, der die Gläubigen dazu auffordert, sich in Gemeinden zusammenzuschließen, um abseits der 'Welt, die keine mehr ist', als Christen zu leben, vergleicht den Wokismus gerne mit einem neuen 'weichen Totalitarismus'."
Archiv: Desk Russie

New York Times (USA), 03.06.2024

Elf Millionen Menschen sind im Sudan auf der Flucht, schreibt Dena Ibrahim, selbst ein Flüchtling, in der New York Times. Die Milizen der RSF, Nachfolger der arabischen Milizen, die einst in Darfur wüteten, zerstören systematisch den Traum eines vielfältigen Sudan, der aus Arabern und Nicht-Arabern und aus Christen und Muslimen zusammengesetzt wäre, wie man ihn sich in der Revolution von 2019 erträumte. Es ist ein Genozid, zu erkennen auch an der Zerstörung von Kulturstätten wie dem Nationalmuesum: "Im Mai 2023 drangen Kämpfer der RSF in das Nationalmuseum ein. In Videos, die im Internet veröffentlicht wurden, sah man, wie sie antike nubische Särge öffneten und 3.000 Jahre alte Mumien in ihrer Totenruhe störten. Scharfschützen bezogen auf dem Dach des Museums Stellung. Das Museum wurde geplündert. Es wird jetzt als Friedhof der RSF genutzt. Auch das Khalifa House Museum in Omdurman, das ebenfalls kürzlich renoviert wurde, wurde geplündert. Mitglieder der RSF haben Videos von sich selbst in den Ruinen der alten religiösen Stätte von Naqa, einem Unesco-Weltkulturerbe, veröffentlicht. Sie sollen Universitätsbibliotheken und -archive geplündert oder verbrannt haben. Im September erfuhr ich, dass die Sammlung seltener Musikinstrumente an der Bait Al Oud Akademie - die ich am Vorabend des Krieges gehört hatte - zerstört worden war."
Archiv: New York Times
Stichwörter: Sudan

Tablet (USA), 03.06.2024

Tablet bringt eine Reihe von Artikeln über Frankreich. Marco Roth wundert sich im Aufmacher, dass die drittgrößte jüdische Gemeinde der Welt geschlossener und gelassener auf den 7. Oktober zu reagieren scheint als die jüdische Community in Amerika, die Roth als gespalten darstellt. Aber Frankreich war zugleich das Land mit den meisten antisemitischen Attentaten und Verbrechen seit 2000. Es fing an mit Attentaten gegen Synagogen nach dem 11. September, dann den Morden an Ilan Halimi und alten jüdischen Damen in der Folge und setzte sich fort mit den Anschlägen in Toulouse, auf den jüdischen Supermarkt in Paris und auf das Bataclan. Jeremy Stern unterhält sich für das Dossier mit dem einstigen sozialistischen Premierminister Manuel Valls, der nie ein Hehl aus seiner Unterstützung für Israel gemacht hat und zusammen mit François Hollande nach dem Charlie-Hebdo-Massaker das Land im Protest gegen die islamistische Infamie einte - wenn auch vielleicht nur für einen kurzen Moment. Die Frage, ob er sich heute noch als Linker versteht beantwortet er eindeutig mit Ja: "Universalismus und Säkularismus, das ist meine Linke. Ich definiere mich in erster Linie als französischer Republikaner, und gerade darum macht mir der Wahnsinn in der heutigen Linken Angst." Valls weist darauf hin, dass in Paris im November hunderttausend Menschen gegen Antisemitismus demonstrierten, was die Deutschen zum Beispiel nicht hingekriegt haben, aber er macht auch eine Beobachtung, die ihn als Linken äußerst melancholisch stimmen muss: "Emmanuel Macron hat nicht teilgenommen, weil er nicht spalten wollte, ein echter Fehler. Auch die muslimischen Organisationen haben nicht teilgenommen, abgesehen von einigen Persönlichkeiten hier und da. Aber das Wichtigste ist, dass zum ersten Mal seit der Dreyfus-Affäre die Rechtspopulisten an einer Demonstration gegen Antisemitismus teilgenommen haben, während ein Teil der Linken nicht kam. Das galt nicht nur für Jean-Luc Mélenchon, sondern auch für Gewerkschaften und Aktivisten. All diese Leute sind nicht gekommen, weil sie glaubten, dass eine Demonstration gegen Antisemitismus in Wirklichkeit eine Demonstration zur Unterstützung Israels sei."
Archiv: Tablet

Aktualne (Tschechien), 30.05.2024

Auf dem diesjährigen Filmfestival Zlín wurde soeben der 1938 geborene tschechische Filmemacher Hynek Bočan für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Bočan, der sowohl als Regisseur als auch als Drehbuchautor zeichnet, war in den produktiven Sechzigerjahren Teil der Tschechoslowakischen Neuen Welle und des Prager Frühlings, verlegte sich dann in schwierigeren Kommunismuszeiten auf Märchenfilme und Fernsehserien. Anfang der Achtzigerjahre zog das Regime die Schrauben wieder einmal enger an, "man durfte kaum noch etwas", wie Bočan laut Aktuálně in Zlín erzählt. "Im Märchenfilm aber durften wir alles, wir durften sogar so etwas Gewagtes sagen wie, dass das Gute siegt und das Böse bestraft werden muss." Aus dieser Zeit stammt auch sein Märchenfilm "Mit dem Teufel ist nicht gut spaßen". Gleichzeitig betont Bočan, wie schwierig es ist, gute Märchenfilme zu drehen, denn Kinder seien unbestechliche Zuschauer. "Wenn die Kinder während des Films anfangen, aufs Klo zu gehen, dann wissen Sie, dass etwas nicht stimmt (…) Wenn sie 90 Minuten lang durchhalten, was für ein kleines Kind viel ist, dann ist die Sache gelungen." Neben einer großartigen Ausstattung und großartigen Schauspielern ist für Bočan auch der Humor unerlässlich - für den die tschechischen Märchenfilme ja überhaupt berühmt sind. Zwischen den nationalen Märchenstoffen hat Bočan große Unterschiede entdeckt: "Deutsche Märchen sind anders, wesentlich drastischer, von russischen gar nicht erst zu sprechen." Auch die Teufelsfiguren fielen sehr unterschiedlich aus. "Die tschechischen Teufel sind eigentlich gerecht, sie bestrafen das Böse, können aber nichts gegen einen redlichen Menschen ausrichten - meist ein Schuster -, der sie am Ende ins Lächerliche zieht."
Archiv: Aktualne

The Insider (Russland), 29.05.2024

Der russische Profi-Sport ist zum sicheren Hafen für verurteilte europäische Sportler geworden, schreibt Elizaveta Pyatnitskaya in The Insider. Ein Beispiel ist der Fußballer Rai Vloet, der alokoholisiert einen Unfall gebaut hatte, bei dem ein vierjähriger Junge starb. Vloet wurde daraufhin in den Niederlanden verurteilt. "Vor dem tödlichen Unfall spielte Rai Vloet, der aus einem der erfolgreichsten Vereine des Landes, dem PSV Eindhoven, hervorgegangen war, in der ersten Liga für den Mittelklasseverein Heracles und war dort eine Führungspersönlichkeit. Nach der Verhandlung wandten sich aktive Anhänger des Vereins gegen ihn und verlangten, dass er während des laufenden Berufungsverfahrens nicht spielen dürfe. Heracles stimmte dem zu und suspendierte Vloet vom Training, und im Januar 2022 wurde bekannt gegeben, dass der erfolgreiche Mittelfeldspieler nicht mehr für die Mannschaft spielen würde." Der russische Verein Ural Jekaterinburg "hat ethische Fragen jedoch überhaupt nicht in Betracht gezogen - wie der damalige Vizepräsident des Vereins, Igor Efremov, zugab. In der YouTube-Show 'This is Football, Bro' erinnerte sich der ehemalige Ural-Funktionär: '(...)Wenn man die Situation nicht kennt, fragt man sich, warum ein Spieler wie Vloet in Kasachstan spielt. Nachdem wir die Angelegenheit gründlich untersucht und diskutiert hatten, wurde uns klar, dass es noch keinen Gerichtsbeschluss gab, als Ural Vloet unter Vertrag nahm. Offen gesagt, haben wir damals die moralische und ethische Seite überhaupt nicht in Betracht gezogen'. Auf die Frage, ob eine solche Haltung akzeptabel sei, bemerkte Efremov: 'Lassen Sie mich fragen: Gibt es viele Menschen, die immer nüchtern gefahren sind?'"
Archiv: The Insider

London Review of Books (UK), 03.06.2024

Owen Hatherley setzt sich angesichts der englischen Erstübersetzung von Adornos Essaysammlung "Ohne Leitbild" mit einigen Aspekten des Denkens und Schreibens des deutschen Philosophen und Soziologen auseinander. Adorno gilt zwar als Verfechter modernistischer Kunst, so Hatherley, aber einige Texte der Sammlung zeigen auf, dass er sich auch vermeintlich niederen, populären Formen analytisch zu nähern wusste. Unter anderem geht er auf "Zweimal Chaplin" ein, einen dem berühmten Filmkomiker gewidmeten Kurzessay: "Adorno lobt Chaplin nicht, wie es damals üblich war, als jemanden, der den Slapstick zur 'hohen Kunst' erhoben hat. Er geht höflich über die späteren 'ernsten' Filme hinweg, die ohne die Tramp-Figur auskommen, und argumentiert, dass 'Interpretationen' von Chaplin diesem 'umso umso mehr Unrecht antun, je höher sie ihn erheben'. Er findet eine Aggression in Chaplins Werk und der Art und Weise, wie er sanft, aber unerbittlich die Gesten anderer verspottet und nachahmt. Der wahre Chaplin, so argumentiert Adorno, wirkt gelegentlich, als wäre er 'kein Opfer, sondern suche solche, spränge sie an, zerrisse sie'; er ist 'ein Königstiger als Vegetarier'. Der Text endet mit einem spektakulären Hinweis auf eine Begebenheit, bei der er selbst das Privileg hatte, von Chaplin imitiert zu werden. Auf einer Party in Los Angeles wurde Adorno einem Schauspieler vorgestellt, der im Krieg seine Hand verloren hatte. Als er in die Verlegenheit kam, die Metallklaue des Schauspielers zu schütteln, verwandelte sich sein 'Schreckgesicht' in 'eine verbindliche Grimasse, die weit schrecklicher gewesen sein muss'. Chaplin, der dort war, bemerkte sofort sein Unbehagen und spielte die gesamte Szene in Pantomime nach."

David Kaiser hofft, dass die Wissenschaft bald herausfinden wird, wo die großen Mengen an Masse abgeblieben sind, die im Weltall aufgrund diverser astronomischer Berechnungen existieren müssten, aber mit der aktuell zur Verfügung stehenden Technik nicht auffindbar sind. Manche vermuten, dass die sogenannte dunkle Materie in Partikelformen gebunden ist, die bislang noch nicht sichtbar gemacht warden können. Kaiser setzt, im Anschluss an Hypothesen unter anderem J. Robert Oppenheimers, Yakov Zeldovichs und Stephen Hawkings, auf eine andere Hypothese: schwarze Löcher. Insbesondere Hawkings Überlegungen sind für den Stand der Diskussion laut Kaiser außerordentlich relevant: "Er stellte zunächst fest, dass 'gewöhnliche' Schwarze Löcher, wie sie Oppenheimer betrachtet hatte, aus dem Kollaps eines Sterns resultieren würden und dass ihre Masse ungefähr der Masse der Sonne entsprechen müsste. Im Gegensatz dazu würden primordiale Schwarze Löcher - eine eigene Art, die unmittelbar nach dem Urknall entstanden sein könnte - die stellare Entwicklung vollständig umgehen und direkt aus dem gravitativen Kollaps einer lokalen Unregelmäßigkeit in der frühen Materieverteilung entstehen. Wie Hawking betonte, könnte ein solcher direkter Kollaps bedeuten, dass primordiale Schwarze Löcher mit einer enormen Bandbreite an Masse entstehen könnten, entweder viel kleiner oder viel größer als die Masse der Sonne. Hawking schlug sogar vor, dass primordiale Schwarze Löcher - die lange vor den ersten Sternen oder Galaxien entstanden sind - die Rolle der dunklen Materie spielen könnten."