Magazinrundschau - Archiv

Deník Referendum

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Magazinrundschau vom 08.04.2024 - Deník Referendum

Schon vor dem Stichwahlergebnis der slowakischen Präsidentschaftswahlen - bei denen der russlandfreundliche Populist Peter Pellegrini gewann - diagnostizierte der tschechische Politologe Jiří Pehe vor wenigen Tagen, dass Mitteleuropa im Verschwinden sei. Das intellektuelle Konzept Mitteleuropas als eigener Kulturraum, den Milan Kundera 1983 in seinem berühmten Essay als den nach Osten "entführten Westen" bezeichnete und den viele nach dem Fall des Kommunismus im Rahmen eines freien Europas wiederzubeleben hofften, präsentiere sich nun eher als ein "unsicherer Spalt zwischen dem Westen und Russland". Schon die Sache mit dem eigenen Kulturraum sei von Anfang an eher fragwürdig gewesen: "Im Rahmen der Visegrád-Gruppe V4 entstanden zwar diverse Mechanismen und Institutionen zur kulturellen Zusammenarbeit, es hat sich jedoch gezeigt, dass die Öffentlichkeit aller vier Länder, besonders die jungen Menschen, eher zur westlichen Kulturproduktion aufsehen als zu einem gemeinsamen kulturellen Erbe. Und dass die jeweilige Gesellschaft das kulturelle und intellektuelle Geschehen in den anderen Visegrád-Ländern, wenn überhaupt, eher als Ergänzung zur kulturellen Produktion des Westens betrachtet." Auf politischer Ebene habe sich die jeweilige Erfahrung der V4-Länder zwischen den beiden Weltkriegen als wesentlich erwiesen, so Pehe. "Während die Tschechoslowakei zu jener Zeit ein demokratisches Land war (dessen östliche Hälfte - die Slowakei - freilich vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs in den Faschismus abglitt), funktionierten Ungarn und Polen als autoritäre Systeme. Viele der Ideen, die die Politik der Zwischenkriegszeit in diesen Ländern bestimmten, begannen nach 1989 auch die Politik der neuen Demokratien nach und nach zu beeinflussen. (…) Mit anderen Worten, es hat sich ergeben, dass die politischen Vermächtnisse der einzelnen V4-Länder womöglich mehr Unterschiede in sich bergen als etwas, was diese Länder produktiv miteinander verbindet." Durch das Gewicht Polens ergebe sich zudem eine politische Asymmetrie: Polen hat "mehr Einwohner als die anderen drei Länder zusammen und gehörte damals nur marginal zum Habsburger Mitteleuropa." Der Ukrainekrieg wirft nun ein neues Scheinwerferlicht auf die Region, deren politische Ambivalenzen ebenso in Österreich zutage treten, so Pehe. Die Tschechische Republik bewege sich auf schmalem Grat, denn Umfragen deuteten an, "dass sie bei den nächsten Wahlen ins Lager von Slowakei und Ungarn wechseln könnte. Sollte dies geschehen, wäre das die ironische Widerlegung von Kunderas These vom 'westlichen Mitteleuropa', das gewaltsam von der Sowjetunion nach Osten entführt wurde."

Magazinrundschau vom 23.01.2024 - Deník Referendum

Der tschechische Premier Petr Fiala hat in seiner Funktion als derzeitiger Vorsitzender der Visegrád-Gruppe dieser Tage erklärt, vorerst kein V4-Treffen einberufen zu wollen. Für den Politologen Jiří Pehe liegen die Gründe dafür klar auf der Hand: "Nach den Wahlen in der Slowakei und in Polen hat sich die Visegrád-Gruppe wieder neu aufgeteilt. Während sich vor diesen Wahlen immer häufiger Polen und Ungarn auf der einen Seite sowie Tschechien und Slowakei auf der anderen Seite gegenüberstanden, verläuft nun die Trennlinie zwischen Ungarn und der Slowakei auf der einen, und Tschechien und Polen auf der anderen Seite." Und der Graben zwischen letzteren beiden Ländern und dem neuen ungarisch-slowakischem Verbündetenblock könne sich noch weiter vertiefen, so Pehe. "Mit anderen Worten, die Slowakei hat Polen in der Rolle des Landes abgelöst, das mithilfe seines Vetos verhindern wird, dass Ungarn sein EU-Stimmrecht verliert. [Der slowakische Premier] Fico hat in diesem Zusammenhang bereits erklärt, wie wichtig es für die Slowakei sei, dass die EU die Souveranität eines jeden Landes respektiere." Pehe befürwortet Fialas Aussetzen der Treffen, denn "eine Fortführung der V4 in Gestalt einer Art Zombiegruppe kann für die Länder, die die freiheitliche Demokratie verteidigen und sich klar für den Widerstand gegen den russischen Angriff auf die Ukraine einsetzen, sogar kontraproduktiv sein." Doch in seinen Augen ist das noch nicht genug: "Die gegenwärtige [tschechische] Regierung sollte sich von dem Geschehen in der Slowakei und in Ungarn und dem Vorgehen der beiden Länder in der EU noch deutlicher abgrenzen, als lediglich das Treffen der V4-Premiers mit einem 'Man wird sehen' zu verschieben."

Magazinrundschau vom 12.09.2023 - Deník Referendum

Der Ukrainekrieg hat auch große Auswirkungen auf die Russistik an den Universitäten. Jitka Komendová unterhält sich darüber mit dem tschechischen, in Zürich lehrenden Russisten Tomáš Glanc, nach dessen Worten der russische Angriffskrieg nicht nur die Gegenwart und Zukunft, sondern auch die Vergangenheit des Fachgebiets verändere. "Es mag fragwürdig oder übertrieben klingen, aber ich denke, dass die Slawistik des letzten Dreivierteljahrhunderts zumindest einen indirekten Anteil an dem Gesamtkontext hat, der nicht rechtzeitig und nicht entschieden genug auf die verschiedensten Warnsignale reagiert hat. Erst als es zu spät war, haben wir uns zu fragen begonnen, wie es zur Herausbildung dieser 'russischen Welt' kommen konnte, in deren Namen die russische Armee heute bombardiert und mordet." Glanc berichtet auch über die russische Soft Power, die über die Jahre mit Organisationen wie Russki Mir, finanziellen Förderungen oder der Verleihung von Medaillen durch Putin versucht hat, Einfluss auf akademische Institutionen zu nehmen. Ein Boykott russischer Kultur oder Wissenschaften kann nach Glanc' Ansicht allerdings nicht flächendeckend geschehen, sondern muss von Fall zu Fall betrachtet werden. "Wenn der Export / Import für einige Zeit aussetzt, entstehen keine irreparablen Schäden, und es wird wenigstens mehr Menschen bewusst, wie ernst die Situation ist. Das bedeutet natürlich noch nicht - zumindest, wie ich es sehe -, dass man jemandem verbieten sollte, Tschaikowski zu spielen oder die Literatur russischer Klassiker herauszugeben. Ich vermute, da lässt sich keine allgemeine Regel formulieren, was man darf und was nicht."

Magazinrundschau vom 22.11.2022 - Deník Referendum

Der 17. November ist in Tschechien der staatliche Feiertag des "Kampfes für Freiheit und Demokratie" und erinnert an zwei Ereignisse zugleich: zum einen an den 17. November 1939, als die deutschen Nationalsozialisten tschechische Universitäten schlossen und unzählige tschechoslowakische Studenten und Universitätsdozenten verhafteten und hinrichten ließen, zum anderen an den 17. November 1989, als wiederum Studentenproteste die Samtene Revolution und damit den Sturz des Kommunismus einleiteten. Das Magazin Deník Referendum fragte aus diesem Anlass ehemalige Dissidentenpersönlichkeiten, ob und wie sich dieser Tag heute noch ohne Kitsch und Pathos feiern lasse. Während die Schriftstellerin Eva Kantůrková (*1930) in dem Gedenktag ein historisches Datum wie viele andere sieht und an dem Geist einer "November"-Tradition eher zweifelt, sieht der Publizist Petr Pospíchal (*1960) die Bedeutung des Feiertags durch den Ukraine-Krieg noch angewachsen: "Wir dürfen nicht gleichgültig sein - auch dies ist eine immer noch lebendige Lehre des Novembers 1989. Das damalige Regime endete genau deshalb, weil die Menschen ihre Gleichgültigkeit aufgaben." Der ehemalige Premier und Havel-Gefährte Petr Pithart (*1941) findet an Pathos an sich nichts Schlechtes, nur lasse sich das nicht verordnen, sondern müsse von allein entstehen. Die Geschichten der Menschen, die unter eigenen Opfern etwas bewegt hätten, müssten immer wieder neu erzählt werden. "Haben wir keine Scheu vor dem Wort Opfer. Das ist nichts Religiöses, wenngleich manchmal auch. Ohne Opfer gibt es keine wahrhaftigen Geschichten. Und im Stillen dürfen wir uns davon auch etwas ergreifen lassen." Der Philosoph Pavel Floss (*1940) mahnt, nicht zu vergessen, dass die ursprünglichen Ideale der Revolution sich nur teilweise realisiert haben. "Heute genügt es nicht, dass die Demokratie freiheitlich ist, sie muss vor allem eine soziale Demokratie sein, die allen Teilhabe ermöglicht." Die Publizistin Hana Holcnerová (*1960) setzt ihre Hoffnungen in die junge Generation und lobt ausdrücklich die Studenten, die soeben aus Protest gegen die verfehlte Klimapolitik die Universität in Schlafsäcken besetzt haben.

Magazinrundschau vom 25.10.2022 - Deník Referendum

In allen tschechischen Medien sind Nachrufe auf den dieser Tage verstorbenen Schauspieler Josef Somr zu lesen. Auch Alena Zemančíková würdigt den großen Künstler: "Sein Kernthema war der Mensch, der nach außen hin in allen Lebenslagen ruhig bleibt, innerlich aber drängende Zweifel und mal mehr, mal weniger Selbsthass empfindet." Populär wurde Somr in der Zeit der tschechoslowakischen Neuen Welle, etwa in der Rolle des Fahrdienstleisters Hubička in Jiří Menzels filmischer Hrabal-Adaption "Scharf beobachtete Züge" von 1966, wo Somr "einen vitalen metaphorischen Gegensatz zum tödlichen Naziterror bildete. Hubičkas Vorliebe für hübsche Schaffnerinnen und geheimnisvolle Passagierinnen ist der zivile Gegenpol zum Heldentum des Widerstands, den er ganz selbstverständlich ausübt." Auch die Kundera-Verfilmung "Žert" (Der Scherz, 1968) zeigte seine "Fähigkeit, auf zwei Bedeutungsebenen zugleich zu spielen" an der Figur des Ludvík, der sich an einem kommunistischen Funktionär für seine zerstörte Jugend rächen will, dann aber an seiner eigenen - misslungenen - Rache bitter wird (Filmausschnitt): "Milan Kundera beschreibt seine Figuren nicht äußerlich. Im literarischen Text machen wir uns durch ihr Verhalten und ihre Denkweise ein Bild im Kopf. Josef Somr hat dem Ludvík eine Gestalt gegeben, die sich auch bei wiederholtem Lesen des Romans über fünfzig Jahre hinweg nicht vergessen lässt", so Zemančíková. Als Theaterschauspieler erlebte Somr den freiheitlichen Aufschwung der Sechzigerjahre im legendären Prager Schauspielclub Činoherní klub, dann aber auch die langen Jahre der kommunistischen "Normalisierung", die eine ganze Auswahl "peinlicher Fernseh- und Kinofilme" vorsahen. "Josef Somr blieb davon nicht verschont, lieferte aber dank seiner Fähigkeit, die Doppeldeutigkeit menschlichen Tuns auszudrücken, einen Kommentar zu dieser Zeit, den wir am besten an seinen Augen ablesen können."

Und hier Jiří Menzels prachtvoller Fil "Scharf beobachtete Züge" von 1966 im Original mit englischen Untertiteln:

Magazinrundschau vom 05.07.2022 - Deník Referendum

Ähnlich wie in Cannes gibt es derzeit auch bei dem Filmfestival in Karlovy Vary Diskussionen über einen russischen Filmbeitrag. Der ukrainische Botschafter in Tschechien, Jewhen Perebyjnis, protestierte in einem offenen Brief gegen die Teilnahme des (auch schon in Venedig gezeigten) Films "Kapitän Wolgokonow flieht" (mehr hier). Der Film sei Beispiel eines bekannten "Tricks der russischen Propaganda", die manchmal die Entstehung eines angeblich unabhängigen Films unterstütze, der für den Vertrieb im Ausland bestimmt, in der russischen Heimat aber überhaupt nicht zu sehen sei. Außerdem hätten die Regisseure zuvor schon propagandistische Filme gedreht. Die tschechische Festivalleitung hat die Einladung des Films jedoch verteidigt: Er sei eine indirekte Kritik am heutigen Regime und rege außerdem zur Diskussion an. Der Journalist Filip Outrata hält das in seinem Kommentar für die einzige richtige Antwort: "Kultur und Kunst können ebenso wie die Sprache zu Geiseln der politischen Macht werden, sie können auf vielfältige Weise missbraucht werden. Aber sie sind nicht wehrlos, sie können sich auf ihre eigene Art der Macht entgegenstellen. Der Streit um die russische Kultur und die Versuche, sie zu boykottieren, sind ein Anlass, tiefer über die dunkle Kehrseite menschlicher Kreativität, ihre oftmals enge Verbindung zur Macht, aber auch ihr kritisches und befreiendes Potenzial nachzudenken, und dadurch die Kraft der Kultur noch umfassender für den Dialog zwischen Menschen, Nationen und Traditionen zu schätzen und zu nutzen."

Magazinrundschau vom 17.05.2022 - Deník Referendum

Setzt der Westen zu Unrecht seine Hoffnungen auf die russische Jugend und die Studenten? Darüber führen Olga Tschadajewa und Jitka Komendová ein eindrückliches Gespräch mit der St. Petersburger Philosophieprofessorin, Künstlerin und Aktivistin Maria Rachmaninowa, die Russland zu Beginn des Krieges verlassen hat, nachdem sie an der Universität nicht mehr offen sprechen durfte. Nach Rachmaninowas Erfahrung sind Studenten ein unbeschriebenes Blatt mit allen möglichen Anlagen - auch für die Freiheit -, doch würden diese Anlagen aktiv von der älteren Generation unterdrückt, die noch dem imperialen, sowjetischen Denken verhaftet sei. Das gegenwärtige russische Regime fördere eine träge Persönlichkeitsstruktur mit ihren schlimmsten Merkmalen: "Infantilität, Verantwortungslosigkeit, Anbetung von Gewalt und eine Selbstgefälligkeit, die die eigene kulturelle oder ethnische Herkunft als einen Ablass nutzt." Die heutigen Studenten, so Rachmaninowa, seien seit ihrer Schulzeit von drei gefährlichen Faktoren geprägt: "Das Erste ist die Überzeugung, dass sie Kinder seien. Die meisten Studenten sprechen so von sich, selbst mit zweiundzwanzig Jahren noch. Das Zweite ist die Überzeugung, dass alle Erwachsenen gleich sind und immer Recht haben. Darin liegt die Gefahr einer Infantilisierung der Bürger, die wir in Russland beobachten können, einer bürgerlichen Hilflosigkeit und Passivität: Irgendwo entscheidet irgendjemand etwas für mich, da kommen ein paar Erwachsene und organisieren alles und machen es richtig, ich kann mich da nicht einmischen. (…) Und das Dritte ist die Überzeugung, dass alles Unerfreuliche potenziell verdächtig ist, gefährlich und beunruhigend, verbunden mit Depression und irgendeiner Art von Psychopathologie. Wenn die Studenten in meinen Kurs kommen und über Themen nachzudenken beginnen, mit denen sich gelehrte Autoren befasst haben, machen sie sich zum ersten Mal bewusst, dass die Welt kein Disneyland mit rosa Ponys ist, sondern dass es Probleme gibt, Orte des Konflikts, Traumata. Für sie ist das ein Schock."

Magazinrundschau vom 12.10.2021 - Deník Referendum

"Kein Triumph, aber eine Chance", schreibt Jakub Patočka über das tschechische Wahlergebnis und betont auch den großen Einfluss der Bewegung Milion chvílek ("Eine Million Augenblicke für die Demokratie"), die in unermüdlicher Straßenarbeit mit den Bürgern über die Probleme des Populimus diskutiert hat. "Ohne die phänomenale Arbeit der fähigsten tschechischen Bürgerbewegung der letzten zwei Jahrzehnte wäre der Wahlausgang ein anderer gewesen." Einig sind sich viele Kommentatoren darüber, dass die Piraten, die im Sommer noch eine Favoritenrolle spielten, zu Unrecht so schlecht abgeschnitten haben, waren doch sie es, die die Antikorruptionsaufklärung am stärksten vorangetrieben hatten und für Babiš so zur größten Bedrohung wurden. Dass seine Desinformationskampagne gegen sie so erfolgreich war, ist eine bittere Ironie, so Jakub Patočka: "Sie sind paradoxerweise das Opfer eines Umfelds, das sie als ihr 'ureigenes' sahen. Im Internet wurde eine unbarmherzige, präzedenzlos rohe Kampagne gegen sie geführt." Da nun die klassische Linke nach dem krachenden Untergang der Sozialisten und Kommunisten praktisch nicht mehr da ist, hofft Patočka auf neue Kräfte, dieses Vakuum zu füllen: Im Grunde seien jetzt Milion chvílek und die Piratenpartei "die relevantesten, einflussreichsten politischen Kräfte auf der linken Seite. Für das Klima und eine ökologische Politik, soziale Gerechtigkeit und die Qualität der Demokratie wird nun so viel Raum sein, wie wir ihn gemeinsam mit Milion chvílek und den Abgeordneten der Piratenpartei erobern können. Es ist eine Arbeit, die morgen beginnt."

Magazinrundschau vom 07.09.2021 - Deník Referendum

Der Künstler Pavel Karous bedauert, dass aus Prag nach und nach Gebäude des sogenannten Brutalismus verschwinden, und ruft zum Protest gegen den aktuell drohenden Abriss des Verwaltungsgebäudes des Militärbauwesens in der Prager Neustadt auf. Das Gebäude in der Boženy Němcové (Foto im Artikel), das in den 70er-Jahren nach den Plänen des Architekten Jan Hančl entstand, sei trotz seines brutalistischen Stils "sensibel in das Umfeld der älteren Gebäude eingefügt" und befinde sich in einem guten Zustand. Nachdem der Besitzer, der das Gebäude jahrelang mit Reklameflächen verhängte, wegen dieser Verhüllung einen Rechtsstreit gegen den Architekten verlor, will er es jetzt ganz abreißen lassen. Und offenbar ist selbst das Amt für Denkmalschutz, das es für schützenswert hält, dagegen machtlos. Dabei sei die jetzt offenbarte Struktur nicht nur ein architektonisches, sondern auch technisches Zeugnis der damaligen Bauweise, so Karous. Und er erinnert daran, Prag stehe "eben nicht nur wegen seiner landschaftlichen Lage, seiner gotischen, barocken und historisierenden Bauwerke auf der Liste des UNESCO-Kulturerbes, sondern auch wegen seiner symbiotischen Durchmischung mit den Schichten der frühen und späten Moderne. Diese Spätmoderne werden wir jetzt wegen der kommerziellen Interessen ein paar mächtiger Einzelner unwiederbringlich verlieren."

Magazinrundschau vom 23.02.2021 - Deník Referendum

Viele Nachrufe gibt es in den tschechischen Medien auf den letzte Woche verstorbenen christlichen Philosophen Jan Sokol, der mit seiner vielfältigen und integren Persönlichkeit offenbar viele Menschen beeindruckt und beeinflusst hat. Martin Beck Matuštík würdigt den 1936 geborenen "Goldschmied und Uhrmacher, Mathematiker und Programmierer, Philosophen und Pädagogen, Übersetzer, Unterzeichner der Charta 77, ehemaligen Abgeordneten und Schulminister, Präsidentschaftskandidaten und Gründungsdekan der Fakultät der Humanwissenschaften an der Prager Karls-Universität" auch als unermüdlichen Wikipediabeiträger und beliebten Hochschullehrer. "Er eröffnete gerne eine Debatte und wartete dann auf den Konsens. In der Politik wie an der Universität hielt Sokol Opposition für einen wichtigen Schutz vor autoritären Tendenzen selbst angesichts der besten Führungspersönlichkeiten. 'Eine vernünftige Regierung muss sich ihre Kritiker kultivieren. Ohne sie lassen sich große Fehler und Dummheiten unmöglich vermeiden', meinte er. Nach dem gleichen Prinzip zeigte er sich kritisch gegenüber autoritären Strukturen auch anderer Institutionen und Regierungen, in seiner Heimat wie in den benachbarten Ländern, so verteidigte er zum Beispiel Soros' Zentraleuropäische Universität in Prag und dann in Budapest. (…) Durch seine Treue zum Gedanken des Ideenpluralismus darüber, wie man innerhalb starker demokratischer Institutionen richtig lebt, war Sokol ein Mensch, der die Grenzen unseres Denkens verschob."
Stichwörter: Sokol, Jan