Die tschechische Literaturzeitschrift
Tvar widmet ihr aktuelles Heft der ukrainischen Stadt
Lwiw/
Lemberg - dem einst vielsprachigen multikulturellen Zentrum und Mythos des Habsburger Reiches - in den gegenwärtigen Zeiten des Krieges. Die ukrainische Übersetzerin und Kulturmanagerin
Sofia Tscheljak berichtet in ihrer
Reportage, wie die Stadt eine zaghafte neue Bedeutung gewinnt. "Noch vor zwei Jahren hätte ich auf die Frage 'Erzählen Sie uns vom kulturellen Leben in Lwiw' geantwortet, dass es keines gibt." Kultur bedeutete: in Theatergebäuden Unterschlupfe für Flüchtlinge einzurichten und
Sammlungen von Thermounterwäsche zu organisieren. Dann kehrte man vorsichtig zu konventionellen Kulturformaten zurück, um den Flüchtlingen ein wenig Zerstreuung zu bieten, und veranstaltete Versteigerungen ukrainischer Kunst, um die Armee zu finanzieren. "Aber es war unmöglich geworden, ein Buch zu lesen oder einen ganzen Film anzusehen, wollte man doch nichts von der Nachrichtenlage verpassen (…) Die Veranstaltung eines Literaturfestivals erschien völlig undenkbar." Dann fand im Oktober 2022 doch eines statt, und in erweiterter Form im Jahr 2023. Im ersten Jahr erlebten die ausländischen Teilnehmer kurz vor ihrer Abreise aus Kiew noch
intensive Bombardements. "Die Erfahrungen, die sie in Kiew an einem einzigen Vormittag machten, waren intensiver, als wir es geplant hatten. So konnten sie als Augenzeugen Zeugnis abzulegen." Tscheljak berichtet auch von zahlreichen
Beerdigungen und dem Versuch, durch bewusste Gedenkrituale gegen das Vergessen anzugehen. Im Jahr 2024 nun "dachte ich über all die Ausstellungen und neuen Kunstzentren nach, die in Lwiw seit Beginn der umfassenden Invasion eröffnet wurden, über die Künstler, die gezwungenermaßen in die Stadt kamen, sich aber entschlossen haben zu bleiben, über die neuen Restaurants, Literaturlesungen und Bibliotheksvorträge. Vor zwei Jahren konnten wir von etwas Ähnlichem - so vielen Kulturveranstaltungen - nur träumen. Inzwischen ist Lwiw eine Stadt in
privilegierter geografischer Lage, aber die Kultur lebt im ganzen Land wieder auf".