30.07.2003. "Seit ich im Palazzo Chigi bin, beschäftige ich mich nicht mehr mit meinen Unternehmen", beteuert Silvio Berlusconi immer wieder gern. Doch mit dem neuen Mediengesetz wird er noch mehr Werbespots und Anzeigen einsammeln.
Emilio Fede mag es heiß. Seit fünf Wochen spricht der Anchorman des Berlusconi-Senders
Retequattro am liebsten über die hochsommerlichen Temperaturen Italiens. 25 von 34 Aufmachern seiner Nachrichtensendung - täglich um 18.55 Uhr - galten dem Wetter oder den vom Reiseverkehr überfüllten Autobahnen. So folgte auf "Große Hitze" ein Tag später die sensationelle Neuigkeit
"sehr heiß" oder auf "unheimliche Trockenheit" die Meldung "Trockenheit zwingt Landwirtschaft in die Knie". Aussagekräftig auch waren die Titel am elften und zwölften Juli: "afrikanische Luftblase rückt näher" und "dichter Verkehr. Stau". (Hier die
Liste der Aufmacher).
Als ergebenster und eifrigster unter den Hofberichterstattern in Berlusconis Medienimperium macht Emilio Fede mit "Gluthitze", "Spitzentemperaturen" und "vertrockneten Flüssen" Meteo-Politik. Wenn es der Regierungskoalition schlecht geht, spricht der Nachrichtendirektor über das Wetter; betritt Regierungschef Berlusconi aber als "Gewinner" die politische Bühne, spricht Fede über seinen Premier und Arbeitgeber. Daher kommt
Matteo Bartocci in seiner "Studie" über Fedes Wetterbericht in der unabhängigen linken Tageszeitung
il manifesto zu dem
Schluss, dass es derzeit keinen zuverlässigeren Indikator für den
Gesundheitszustand des Berlusconischen Regierungsbündnisses gibt als den Aufmacher der Rete4-Nachrichten: "So verhält sich der Thermometerstand, der das
Unbehagen der Casa delle Liberta anzeigt, genau proportional zur Anzahl der Minuten, die dem Klima innerhalb der Nachrichten gewidmet sind". Je schlechter oder angespannter die Stimmung im Regierungsbündnis, desto besser das TV-Wetter.
Heiß war es auch am 23. Juli, als der Senat das umstrittene
neue Mediengesetz verabschiedete, das unabhängige Journalisten als Geschenk des Informationsministers
Maurizio Gasparri an Berlusconi werten. "Hitze wie im Alptraum" lautete der Aufmacher in den Rete4-Nachrichten. Anschließend erklärte der Anchorman seinem Publikum das neue "Sistema reato televisivo" (Fernsehstraftatensystem). Da sind Emilio Fede Hitze und Freude anscheinend zu Kopf gestiegen und haben für einen Freudschen Versprecher gesorgt (hier Fedes
Fanclub). Denn es geht freilich nicht um ein Straftatensystem, sondern um das so wohlklingend bezeichnete "integrierte Kommunikationssystem" (
Sistema integrato delle Comunicazione - Sic), ein Teil des neuen, so genannten Gesetzes Gasparri. Und Rete4 gehört zu dessen
Nutznießern, weil das Gesetz unter anderem verhindert, dass der Sender spätestens ab dem 31. Dezember 2003 nur noch per Satellit ausgestrahlt werden darf oder alternativ von Berlusconi verkauft werden muss (mehr Infos zum Sic in
la Repubblica hier). Das hatte nämlich der Verfassungsgerichthof in einem Urteil von 2002 so festgelegt. Für die rechtzeitige Rettung von Rete4 vor dem sicheren Tod bedankte sich Emilio Fede dann auch artig per Telefon und live auf Sendung bei Maurizio Gasparri: "
Danke Herr Minister! Danke, Danke, Danke".
Das
Sic ist noch viel besser als die italienische EU-Präsidentschaft, meint
Gianni Barbacetto, der Berlusconi-Spezialist des kulturpolitischen Magazins
Diario und beschreibt die undurchschaubaren Besonderheiten des Systems: Das Sic "ist eine Art riesiger Ozean, ein unbekannter Kontinent, eine Galaxie oder ein
schwarzes Loch, dessen Ausmaße niemand kennt." Anhand dieses neuen, nicht genau definierten Universums, das Hörfunk und Fernsehen, Telekommunikation, Verlags- und Zeitungswesen umfasst, sowie Werbung, Fernsehgebühren, Pay-TV, Sponsoring und Tele-Shopping, werden die alten Kartellbestimmungen (maximal
zwei TV-Sender - Berlusconi hat trotzdem drei, weil Rete4 seit Jahren mit "provisorischer Genehmigung" sendet - und maximal
dreißig Prozent des gesamten Werbeaufkommens) ausgehebelt und neue erstellt. Demnach darf ein einzelner "Anbieter" nicht mehr als zwanzig Prozent des Sic umfassen. Aber wie viel sind zwanzig Prozent von unendlich?
Berlusconi ist der reichste Mann Italiens. Sein Vermögen schöpft der Premier vor allem aus den Einnahmen seiner
Werbefirma Publitalia. Seit seinem erneuten Regierungsantritt 2001 - und der Kontrolle über das staatliche Fernsehen - sammelt Berlusconi noch mehr Werbespots und der italienische Werbe- und Anzeigenmarkt ist einer "doppelten Erosion" ausgesetzt, erklärt Barbacetto, der die entsprechenden Werbedaten gesammelt hat: In Italien werden 57 Prozent der
Werbeausgaben in TV-Spots investiert (in Deutschland 23, in England 33,5, in Spanien 41 Prozent). Seit 2001 allerdings fließen immer mehr Gelder in die Werbung auf
Mediaset, das die drei Fernsehkanäle von Berlusconi
Italia 1,
Rete4 und
Canale 5 umfasst, und weniger in die staatliche
RAI oder die Tageszeitungen: "Es ist ein schönes Beispiel für den Interessenkonflikt. Da die italienischen Unternehmer und die internationalen Konzerne wählen müssen, bevorzugen sie am Ende die Sender des Premiers. 2002 und 2003 bestätigt sich diese Tendenz: die ?Big Spender? der Werbung, die bis 2000 ihre Investitionen je zur Hälfte zwischen der
RAI und Mediaset aufteilten, geben heute mehr als 60% an Mediaset und weniger als 40% an die
RAI." Bei den Tageszeitungen sieht es ähnlich aus. Der Pasta-Konzern
Barilla beispielsweise reduzierte zwischen Oktober 2002 und März 2003 seine Werbeausgaben in der Presse um 86,8% und investiert 20,6% mehr in Mediaset, weiß Barbacetto. (Hier die
beiden Artikel zur Medienreform aus
Diario, die Barbacetto auf seine
website gestellt hat )
Das Besondere an Sic ist seine
Großspurigkeit. Auf mindestens 25 Milliarden Euro schätzen Fachleute den Gesamtwert des Systems, an dem sich Mediaset in den nächsten Jahren weiter bereichern wird. Vermutlich wächst das Unternehmen Berlusconis um weitere 30 Prozent - so die Experten; denn dank Sic darf Mediaset in Zukunft den Anteil der Werbung im Fernsehen erhöhen und in ein paar Jahren noch mehr Zeitungen, Verlage und neue Sender kaufen. Zudem wird sich durch die geplante Umstellung auf das
Digitalfernsehen die Zahl der Sender vervielfachen. Mediaset hat in den vergangenen Jahren bereits eine Reihe kleiner lokaler TV-Sender erworben und ist jetzt schon dabei, das erste terrestrische digitale Netz einzurichten.
Und die
RAI? Für sie ist in der neuen Telegalaxie kaum noch Platz. Dem untergehenden Stern des staatlichen Fernsehen wurde vom neuen Gesetz eine lächerliche Privatisierung verordnet, bei der jeder Investor nur
ein Prozent der RAI (und der Mitsprache) erwerben darf. "Die Politik macht mit der
RAI, was sie will",
beschwert sich Vittorio Emiliani in der römischen, Linksdemokraten-treuen
Unita und sieht das öffentliche Fernsehen schon "in der
Schrottpresse und auf der Müllhalde" landen oder zu "Gulasch" verarbeitet; denn statt den Rückgang von Zuschauerzahlen und Werbekunden zu bekämpfen, unternimmt die
RAI alles, um ihre Konkurrenzfähigkeit gegenüber Mediaset weiter zu schwächen. Sie verzögert oder blockiert die erfolgreichsten und angesehensten TV-Produktionen wie beispielsweise die Verfilmungen der
Montalbano-Krimis (mehr
hier) von
Andrea Camilleri;
RAI Uno vertuscht Berlusconis Eskalationen im Europaparlament;
RAI Due soll dem "Regierungspartner, der am lautesten grölt", also
Umberto Bossi überlassen werden; und für die "kommunistische"
RAI Tre führt Generaldirektor Cattaneo
schwarze Listen, auf denen die nächsten Verwandten der auf dem Index stehenden Gäste gleich mitverbannt werden. So darf der renommierte Physiker und Meteorolge
Franco Prodi (mehr
hier) an einer für September geplanten Sendung nur deshalb nicht teilnehmen und über das Wetter reden, weil er der
Bruder von Romano Prodi ist (hier ein
Artikel dazu in
il manifesto). Vittorio Emiliani fragt sich verzweifelt, warum sich die
RAI so stillschweigend "ausschlachten" lässt und will nicht glauben, dass die größte Kulturanstalt Italiens nichts mehr zu sagen hat.
Manche Kritiker befürchten, dass das Ausschalten der
RAI erst der Anfang ist: "Ein
kommerzieller Vampirismus droht das gesamte Informationssystem auszusaugen", schreibt Giovanni Valentini in
La Repubblica. "Jede Einschränkung des Wettbewerbs kommt einer Verletzung der Freiheit und der Rechte jedes einzelnen gleich" (hier die
Artikel der
Repubblica zum Thema). Mit seinem Informations- und Werbemonopol zerstört Berlusconi den freien Wettbewerb und damit den Pluralismus in der italienischen Medienlandschaft. Einige Blätter, wie
La Repubblica oder die
Unita fürchten wegen der großen Einbußen auf dem Anzeigenmarkt schon um ihre Existenz. (Hier ein
Appell von
save-democracy.net an das Parlament der EU)
Das Wochenmagazin
Diario von
Enrico Deaglio schützt sich schon seit einigen Monaten vorausschauend gegen den Anzeigenschwund, den Berlusconi mit seiner endlosen Werbegier verursacht. Das unabhängige Blatt mit etwa 40.000 Lesern pro Woche hat eine originelle und transparente
Anzeigenkampagne auf seiner neu gestalteten website gestartet. "Piccoli Annunci" (kleine Anzeigen, mehr
hier) bietet Kleinunternehmern, Privat- und Geschäftsleuten, Künstlern, Handwerkern und Dienstleistern mit Hilfe eines Online-Formulars für nur 250 Euro jährlich (plus Mehrwertsteuer) je eine Anzeige in drei Printausgaben des Magazins und eine ganzjährige Online-Werbung. Damit hat
Diario seine Unabhängigkeit von Politik und Großanzeigen zunächst erfolgreich gesichert.
An Unabhängigkeit und das Recht auf Information hat auch Staatspräsident
Carlo Azeglio Ciampi gedacht, als er von einem Jahr einen Aufruf an das Parlament richtete. Darin forderte er die Abgeordneten (d.h. die Regierung) auf, in ihrem Gesetzesentwurf zur Neuregelung des Informationssystems das die Demokratie sichernde "grundlegende Prinzip des Pluralismus, wie es die Verfassung vorschreibt", zu garantieren. (Hier die interessante
Botschaft Ciampis, die
il manifesto aus gegebenem Anlass abdruckt). Das Gesetz Gasparri vernichtet Ciampis Erwartungen und Forderungen etwa so, wie ein heißer Wind aus der Sahara die Vorfreude auf ein lang ersehntes, kühlendes Sommergewitter zerstört. Außerdem zeigt es, dass Berlusconi mit moralischer Überzeugungskraft, wie Ciampi sie vertritt, nicht aufzuhalten ist. Der Staatspräsident darf und kann das neue Gesetz nicht unterschreiben - meinen viele Kritiker und Intellektuelle und schwanken dabei zwischen Hoffen und Bangen.
Massimiliano Boschi erinnert die Italiener auf der website der Protestbewegungen
Centomovimenti daran, dass Berlusconi schon immer ein
besessener Käufer war: "Den Ruf des großen Verkäufers hat er völlig zu unrecht. Sein Vermögen hat er nicht gemacht, indem er etwas verkaufte, sondern indem er aufkaufte." Seit zwanzig Jahren ist Berlusconi mit Dauershopping beschäftigt und die Liste umfasst
Sportmannschaften, Fußballer, Verlage (letzter Zukauf ist der
Verlag Piemme), private und staatliche Fernsehsender, Moderatoren, Filmrechte - und wenn es Komplikationen bei Kaufverhandlungen gibt, auch
Staatsanwälte. Seit er kurz vor seiner Wahl 2001 mit den Italienern in einem Fernsehstudio öffentlich einen Vertrag abgeschlossen hat, glaubt er, Italien gehöre auch zu seinem Besitz, erklärt Boschi.
Der Schauspieler und Dramaturg
Carmele Bene (mehr
hier und
hier) hatte schon vor Jahren die zwielichtigen kommerziellen Tricks von Berlusconi entlarvt. In einer Talkshow des Mediaset-Senders
Canale 5 fiel er dem Moderator ins Wort, als der
Verkaufsempfehlungen zu verschiedenen Produkten aussprach: "Ihr glaubt doch nicht wirklich, dass ihr hier gut beraten werdet, ihr werdet gekauft!"
"Seit ich im Palazzo Chigi bin, beschäftige ich mich nicht mehr mit meinen Unternehmen", beteuert jedoch Berlusconi immer wieder gern. Doch
Gianni Barbacetto weiß es besser und berichtet, dass Berlusconi während seiner ersten Regierungszeit 1994 sich mit Hilfe eines komplizierten Systems von
Off-Shore-Gesellschaften an Filmrechten und deren "aufgeblasenen Preisen" bereichert hat. Die Mailänder Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen Berlusconi und
Fedele Confalonieri, den Präsidenten von Mediaset, wegen Bilanzfälschung und Steuerhinterziehung. In jedem anderen Land würde eine solche Anklage die Regierung erschüttern, so Barbacetto. In Italien aber blockiert nur der Justizminister
Roberto Castelli für ein paar Tage den Antrag der Staatsanwälte auf Rechtshilfeaustausch mit den USA. Die Staatsanwälte hatten schon das
Ticket nach Hollywood in der Hand, um dort mit den Verantwortlichen der Filmmajors wie Warner, Paramount oder Columbia zu sprechen.
Seit einem Jahrzehnt beschlagnahmt Berlusconi mit seinen Medien und seiner persönlichen Show "die Augen (und die Intelligenz) der Italiener",
philosophiert Giacomo Papi auf der website von
Diario über die "kollektive Hypnose" der Italiener: "Der Eindruck wird immer stärker, dass wir zehn Jahre damit verschwendet haben, uns über Berlusconi aufzuregen, zu wundern, über ihn zu lachen und ihn zu verarschen; während er seine Show aufführte, haben wir mit unseren Augen, die auf ihn gerichtet waren,
sein Spiel unterstützt."