25.03.2002. Die Oscars sind vergeben. Halle Berry ist als erste schwarze Schauspielerin mit dem Preis für die beste Darstellerin ausgezeichnet worden. Um "A Beautiful Mind", ausgezeichnet als bester Film, tobte vor der Verleihung eine Schlammschlacht.
Die gestrige
Oscar-Verleihung war ein einziges Fest der
Harmonie und Rührseligkeit. Es gab Schweigeminuten
für die World Trade Center-Opfer, eine Hommage von
Woody Allen an New York und ansonsten ziemlich wenig zum Lachen.
Sidney Poitier, der erste schwarze Oscar-Preisträger, bekam Standing Ovations für seine Vorbildrolle und setzte den Ton für die politisch-korrekte Preisverteilungen, bei der sich Hollywoods afro-amerikanische Stars als Spitzenreiter platzierten.
Halle Berry gewann für ihre Rolle in
"Monster's Ball" als erste schwarze Schauspielerin den Preis für "Best Actress" und
Denzel Washington den Besten-Schauspieler-Oscar für
"Training Day". (Alle übrigen Preise finden Sie
hier.) Fast hätte man glauben können, Hollywood ist eine kuschelige Familie. Man musste schon
ganz genau hinsehen und -hören, um die feinen Risse in der Fassade zu erkennen. Ganz zu Anfang bemerkte Zeremonienmeisterin
Whoopie Goldberg trocken, dass im Vorfeld der Oscar-Verleihung soviel Dreck aufgewirbelt worden wäre, dass alle
Wettbewerbsfilme schwarz aussehen - eine Anspielung auf die erbitterte Schmierkampagne hinter den Kulissen.
Hinter den Kulissen gab es in diesem Jahr eine Schlammschlacht, wie sie die amerikanische
Filmakademie, Ausrichter des
Oscar-Wettbewerbs, noch nicht gesehen hat. Schmierkampagnen über
Geschichtsverfälschung, versteckte
antisemitische Tendenzen, Vorwürfe von Rassismus und Stimmenfang durch kalkulierte Opferhaltung überschatteten diesmal das Rennen um die Ernennung zum besten Film des Jahres. Im Zentrum der Kontroverse steht
"A Beautiful Mind" von
Ron Howard, der für acht Oscars nominiert wurde, darunter auch in den begehrtesten Kategorien "Best Picture" und "Best Actor". Berkommen hat er nun die Preise für die
beste Regie und und den
besten Film.
Der Film, der gerade auch in den deutschen Kinos läuft, basiert auf der wahren Geschichte des schizophrenen Mathematikers und Nobel-Preisträgers
John Nash und hat mit
Russell Crowe und
Jennifer Connelly zwei preisverdächtige Hauptdarsteller. Die melodramatische Geschichte des geisteskranken Genies, das schließlich durch die Liebe einer schönen Frau gerettet wird, ist klassisches Oscar-Material. Doch bereits Anfang des Jahres tauchten im Internet und in Klatschkolumnen erste "Enthüllungen" über
bewusste Auslassungen in der Filmstory auf. So soll der echte Nash einen wesentlich unsolideren Lebenswandel geführt haben als in "A Beautiful Mind" dargestellt. Er hat einen
unehelichen Sohn und angeblich diverse
homosexuelle Affären gehabt, und soll obendrein ein ausgesprochener
Antisemit sein - Elemente, die in dem Film nicht vorkommen. Die Anschuldigung, dass der Regisseur im Dienste einer vermarktungsfähigeren Story schwere Geschichtsfälschung begangen hätte, tauchten zuerst im
Drudge-Report auf, einer populären Webseite für Klatsch und Tratsch, die von Skandalreporter Matt Drudge gegründet wurde. Von dort verbreiteten sich die halbseidenen Neuigkeiten im Nu auch in die seriöse Presse. Der
New York Times war die Angelegenheit gleich zwei Artikel wert, einer davon sogar auf der Titelseite.
Times-Kritiker A.O. Scott
verurteilt zwar die Schmierkampagne, wirft Regisseur Howard allerdings gleichzeitig vor, mit seiner
Übersimplifizierung die Glaubwürdigkeit des biografischen Filmgenres zu verspielen.
Nun ist das Hollywood-Kino sicher noch nie für wissenschaftlich korrekte Widergabe von historischen Ereignissen berühmt gewesen. Wer würde schon allen Ernstes annehmen, dass das Oscar-prämierte Südstaatenmelodram
"Vom Winde verweht" eine originalgetreue Rekonstruktion des amerikanischen Bürgerkriegs darstellt? Der moralisierende Ruf nach wahrhaftigeren Filmprodukten entspringt denn auch weniger der Sorge um das geistige Wohl der Kinogemeinde, sondern ist in Wirklichkeit clevere Wettkampftaktik. Wenn genug Akademie-Mitglieder an der Authentizität von "A Beautiful Mind" zweifeln, haben andere Wettbewerber vielleicht bessere Chancen. Revolverjournalist Drudge hält seine Quellen gern geheim, doch die
Spur der üblen Nachrede führt auf mehr oder weniger verschlungenen Wegen zur Konkurrenz. Die
Los Angeles Times berichtete kürzlich, dass ein Vertreter des
Miramax-Studios einen ihrer Reporter eigens anrief, um ihn auf die neuesten Gerüchte auf der Drudge-Website aufmerksam zu machen. Miramax wiederum hat mit
"In the Bedroom", einen stillen Film über Tod, Trauer und Rache in einer amerikanischen Kleinfamilie, diesmal einen
Außenseiterfavoriten im Oscar-Rennen, der zum Sieg ein bisschen Schützenhilfe dringend nötig hätte.
Der Wettbewerb um die umsatzsteigernde goldene Trophäe ist in den letzten Jahren
zunehmend schärfer geworden.
Time Magazine spricht sogar von einem wahren "Oscar-Krieg". Filmstudios geben Millionen von Dollars
für zusätzliche Werbung aus, schalten doppelseitige Anzeigen in den Branchenblättern, versenden Tausende von Videos und DVDs und schicken ihre Stars auf den Talkshow-Parcours. Nach Insider-Schätzungen ließen die Studios sich ihre Oscar-Promotion diesmal
60 Millionen Dollar kosten - eine neue Rekordsumme, und etwa 30mal soviel wie "In the Bedroom" gekostet hat. Die Oscar-Kampagnen werden inzwischen geführt wie politische Wahlkämpfe. Die Studios stellen abgebrühte PR-Strategen ein, die die Gewinnchancen des eigenen Film erhöhen sollen, auch wenn es dazu gilt, den Gegner schlecht zu machen. Gerüchte, die "A Beautiful Mind" mit Antisemitismus in Verbindung bringen, können möglicherweise das Wahlverhalten der zahlreichen
jüdischer Mitglieder in der Filmakademie beeinflussen. Die Basis für solche Anschuldigungen fanden Klatschkolumnisten in einer
unautorisierten Biografie über John Nash.
Der Nobelpreisträger, der die Hollywoodversion seiner Lebensgeschichte abgesegnet hat, verleugnet hingegen nicht, dass er in seiner schizophrenen Verwirrung auch über Juden herzog. In einem aktuellen TV-Interview betonte er allerdings, dass das ebenso wenig seiner
inneren Überzeugung entspricht wie eine andere krankhafte Wahnvorstellung jener Zeit, nämlich dass er der Kaiser der Antarktis sei.
Angesichts der Nachrichtenflut zu "A Beautiful Mind" witzelten einige Zyniker bereits, dass das Produktionsstudio
Universal den Skandal vielleicht sogar selbst ins Rollen brachte. Tatsache ist, dass kurz vor der Oscar-Entscheidung über keinen anderen Spitzenreiter, weder "Moulin Rouge", "Gosford Park" oder den mit 13 Nominierungen anfangs favorisierten "Herr der Ringe", soviel geredet wurde. So könnte sich die Schmierkampagne letztlich in einen
glorreichen Siegesmarsch verwandeln. Was einmal mehr beweisen würde, wie dicht in Hollywood Schmutz und Glanz zusammenliegen.