Antonia Baum

Siegfried

Roman
Cover: Siegfried
Claassen Verlag, Berlin 2023
ISBN 9783546100274
Gebunden, 256 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Eine Frau - Mutter, Partnerin, Versorgerin - fährt eines Morgens nicht zur Arbeit, sondern in die Psychiatrie. Am Abend hat sie sich mit ihrem Partner gestritten, vielleicht ist etwas zerbrochen, jetzt muss sie den Tag beginnen, sie muss die Tochter anziehen, an alles denken, in der Wohnung und ihrem Leben aufräumen. Doch sie hat Angst: das Geld, die Deadline, die Beziehung, nichts ist unter Kontrolle, und vor allem ist da die Angst um ihren Stiefvater, der früher die Welt für sie geordnet und ihr einen Platz darin zugewiesen hat. In der Psychiatrie, denkt sie, wird jemand sein, der ihr sagt, wie ihr Problem heißt. Dort darf sie sich ausruhen. Siegfried ist ein Roman über alte Ordnungen und neue Ansprüche, über Gewalt und das Schweigen darüber, über eine Generation, deren Eltern nach dem Krieg geboren wurden und deshalb glaubten, er sei vorbei.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 29.04.2023

Der vierte Roman von Antonia Baum ist der Selbsterfahrungstrip einer Frau, deren biografische Daten denen der Autorin erstaunlich ähneln, schreibt Rezensentin Eva Behrendt. Die Erzählerin ist Schriftstellerin, lebt mit Kind in Berlin, hat einen Liebhaber und sich nach einem Alptraum selbst in die Psychiatrie eingewiesen. Dort sinniert sie über ihre Mutter, die Macht von Stiefvater Siegfried und die der nazistischen Großmutter. Der Ton dieser Geschichte sei wieder "eindringlich und intim", schreibt Behrendt und bewundert die Offenheit des erzählenden Ichs, das für die Rezensentin als Zeichen der Redlichkeit von der Autorin allerdings etwas überstrapaziert wird. Trotzdem beeindruckt Behrendt der Versuch der Protagonistin, in den Spiegel von drei deutschen Nachkriegsgenerationen zu schauen, um feststellen, dass man den in der Familiengeschichte angelegten Ängsten nicht entkommen kann.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 28.04.2023

Wäre Antonia Baum nicht so eine gute Autorin, wäre "Siegfried" vielleicht nicht mehr als eine "etwas wehleidige tiefenpsychologische Selbstanalyse", überlegt Rezensentin Kathleen Hildebrand. Es ist vor allem ihren vielschichtigen, lebendigen Figuren zu verdanken, die als Individuen funktionieren, wie auch als Figurationen deutscher Geschichte, dass dieser Roman mehr erzählt, lesen wir - mehr als nur von der Überbelastung einer Frau, für die die Auflösung der klassischen Rollenverteilung vor allem bedeutet, dass sie nun alles sein will oder soll: Frau, Mutter, Künstlerin, Partnerin und Versorgerin. Als Baums Heldin diese Doppelt- und Dreifachbelastung nicht mehr tragen kann, sucht sie Zuflucht in der Psychiatrie, was ihr Anlass gibt, eine Selbsterzählung zu erproben - eine Selbsterzählung, stellt Hildebrand fest, die teilweise sehr autobiografisch scheint, wenngleich dieser Schein immer wieder gebrochen wird von allzu genauen Kindheitsbeschreibungen. So gelingt Baum eine "Tiefenbohrung", welche durch die Psyche ihrer Generation hinab führt in die von Krieg und Gewalt geprägte Vergangenheit, so die überzeugte Rezensentin.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 17.03.2023

Antonia Baums Erzählerin steckt in einer Krise, verrät Rezensentin Meike Feßmann, nicht nur, dass der titelgebende Stiefvater Siegfried einen Herzinfarkt hatte, auch die Beziehung zum Vater ihres Kindes und ihre schriftstellerische Arbeit straucheln. Was nach Nabelschau klingt, wird dann doch noch zu größeren Überlegungen zum bürgerlichen Habitus, zu der Frage, was Status- und Herkunftsunterschiede für Beziehungen bedeuten, meint sie. Ein Versäumnis ist für die Kritikerin aber, dass Baum die Gewalttaten des Stiefvaters nicht ebenso gründlich erforscht und abklopft. Eine Geschichte über den "Pyrrhussieg des Habitus", resümiert Feßmann.