Efeu - Die Kulturrundschau - Archiv

Literatur

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Efeu - Die Kulturrundschau vom 13.05.2024 - Literatur

Martina Läubli spricht für den NZZ mit der Literaturwissenschaftlerin Melanie Möller über den Übergriff der Moral auf die Literatur. In der NZZ versucht Paul Jandl dem Erfolg der Schriftstellerin Jenny Erpenbeck im nicht-deutschsprachigen Ausland auf den Grund zu gehen (mehr dazu bereits hier und dort). Die Zeit hat Carolin Würfels Gespräch mit dem Schriftsteller André Kubiczek online nachgereicht. Michael Wurmitzer plaudert für den Standard mit T.C. Boyle, der gerade einen neuen Storyband veröffentlicht hat. Nadine A. Brügger berichtet in der FAZ von den Solothurner Literaturtagen. Bernhard Schulz spaziert für den Tagesspiegel durch Kafkas Prag. In der FAZ gratuliert Andreas Platthaus dem Schriftsteller Adolf Muschg zum 90. Geburtstag. Außerdem gratuliert Platthaus der Schriftstellerin Eva Demski zum 80. Geburtstag. Der Standard bringt ein Gedicht von Clemens J. Setz.

Besprochen werden Miranda Julys "Auf allen vieren" (Standard) und Luca Mael Milschs Debüt "Sieben Sekunden Luft" (Standard).

In der online nachgereichten Frankfurter Anthologie schreibt Ralph Dutli über Arthur Rimbauds "Maibanner":

"an lichten Lindenzweigen
stirbt kränklich ein Halali
doch geistliche Gesänge hängen ..."

Efeu - Die Kulturrundschau vom 11.05.2024 - Literatur

Paul Jandl hat in der NZZ endgültig genug vom literarischen Trend der Autofiktion: "In der Kunst ist alles möglich", aber alle wollen nur über "Selbsterfahrenes" schreiben. Was diese Romane "im Ästhetischen auszeichnet, ist ein blässlicher und uniformer Realismus, der der Wirklichkeit aber auch wirklich nichts schuldig bleiben will. ... Heute herrscht der von den Verkaufsabteilungen der Verlage oft selbst hergestellte Eindruck, dass zwischen den Autor und sein Werk kein Blatt passe. In Fragen der Authentizität reichen sich streberhaft wirkende Autorenlebensläufe und Verlagsmarketing die Hände. ... Romane sind Anverwandlungen der Wirklichkeit, Erinnerungen an Gewesenes und Erfindungen dessen, was gewesen sein könnte. Alles im Schatten möglicher Täuschungen und Selbsttäuschungen. Der autofiktionale Autor wird sich, wenn er nicht durch die Vorstellung verbiestert ist, im Besitz von Wahrheiten zu sein, diesem Spiel ausliefern."

Weitere Artikel: Fürs Kaput Mag spricht Luca Glenzer mit Christof Meueler über dessen Wiglaf-Droste-Biografie. Ioannis Dimopulos schreibt im Freitag über Kafka. Sigrid Weigel erinnert in der digitalen "Bilder und Zeiten"-Beilage der FAZ an Walter Benjamins Reise nach Capri im Jahr 1924. Werner Völker schreibt in "Bilder und Zeiten" darüber, wie Goethe 50 Jahre nach dem Erscheinen des "jungen Werthers" von dem Buch eigentlich nichts mehr wissen wollte. Harry Nutt (BLZ) und Michael Martens (FAZ) schreiben zum Tod des Schriftstellers Ivan Ivanji.

Besprochen werden unter anderem Abdulrazak Gurnahs "Das versteinerte Herz" (FR), Terézia Moras Übersetzung von Dénes Krusovszkys Erzählbandes "Das Land der Jungen" (taz), Bücher von der und über die Schriftstellerin Gabriele Tergit (NZZ, FR), Laura Leupis Debütroman "Das Alphabet der sexualisierten Gewalt" (taz), Caroline Wahls "Windstärke 17" (SZ) und Ronya Othmanns "Vierundsiebzig" (FAZ). Mehr ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.
Stichwörter: Autofiktion

Efeu - Die Kulturrundschau vom 10.05.2024 - Literatur

Cover des Dewilde-Comics "Mon Bataclan".
Der islamistische Terroranschlag auf das Bataclan fordert auch weiterhin Todesopfer: Der französische Comiczeichner Fred Dewilde war damals einer der Überlebenden des Anschlags, verarbeitete diese Nacht in vielbeachteten Comics - und erlag nun doch seiner Traumatisierung. Nach neun Jahren hat er sich das Leben genommen. "Es gibt berührende Zeugnisse von Dewilde, in denen er schildert, wie ihm sein Leben abhandenkam, seine Leichtigkeit, seine Zuversicht, sein Umgang mit der Gesellschaft", schreibt Oliver Meiler in der SZ. "Arbeiten konnte er nicht mehr, das Erlebte lastete zu schwer auf seiner Psyche. 'Ich wachte jeden Morgen mit dem 13. auf, und jeden Abend ging ich mit dem 13. ins Bett.' ... So begann er, Comics zu zeichnen", als "Selbsttherapie, ein posttraumatisches Suchen nach Sinn in diesem Graben vor der Bühne des Bataclan. 'Mon Bataclan' kam 2016 heraus, weniger als ein Jahr nach der Nacht des Terrors, es war der erste Comic seines Lebens. Die Zeichnungen waren schwarz-weiß, dunkel, eindringlich. Zu Beginn publizierte er anonym. 'Ich hatte Angst, die Angreifer würden zurückkehren und ihren Job fertig machen.'"

In der Kafka-Serie der SZ erinnert sich der Schauspieler Edgar Selge daran, wie er einst als junger Mann seinem Vater Kafka zu lesen gab, was eher unerwartete Reaktionen nach sich zog: "Plötzlich, etwa nach einer knappen Stunde, höre ich einen albtraumartigen Schrei aus seinem Sessel." Doch dabei bleibt es nicht: "Von Mal zu Mal werden seine Schreie unwilliger. Plötzlich klappt er das Buch zu, steht auf und stellt angewidert fest: 'Man muss ja pervers sein, um sich so was auszudenken! Das ist doch völlig abartig, eine kranke Fantasie, das hält ja kein Mensch aus.'"

Weitere Artikel: In der FAZ gratuliert Patrick Bahners dem Schriftsteller Alan Bennett zum 90. Geburtstag. Jonas Engelmann schreibt in der Jungle World einen Nachruf auf Paul Auster (weitere Nachrufe hier). Besprochen werden unter anderem der zweite Teil von Ilko-Sascha Kowalczuks Biografie über Walter Ulbricht (taz), Fred Vargas' Kriminalroman "Jenseits des Grabes" (FR) und Franziska Augsteins Churchill-Biografie (FAZ). Mehr ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 08.05.2024 - Literatur

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Hannes Hintermeier erzählt in der FAZ von seinem Besuch in der Ausstellung über Frederike Mayröcker in Wien. Ko-Kurator war Bernhard Fetz, der bereits zu Mayröckers Lebzeiten damit beauftragt war, die legendäre Zettelwirtschaft der 2021 gestorbenen Lyrikerin für den Nachlass zu schürfen. "Die Zimmer waren bis unter die Decke gefüllt mit Zetteln, die mit Wäscheklammern thematisch gebündelt und in Wäschekörben gestapelt waren. Diese Zettelhöhle war eine singuläre Herausforderung für Archivare." Die Ausstellung macht dieses "Schreibuniversum sinnlich erfahrbar. ... Mittels Virtual-Reality-Brillen kann man sich auf einen Rundgang durch die Schreibwohnung im Originalzustand begeben, ein 360-Grad-Sinneseindruck von unheimlicher Plastizität. Es handele sich vermutlich um einen der letzten komplett analogen Nachlässe, die hier erschlossen würden, sagt Fetz. Denn die Dichterin blieb bei ihren Reiseschreibmaschinen, bei Schallplatten, Tonbändern und Kassetten. Kein Computer, nirgends."

Weiteres: Oliver Meiler schreibt im Tagesanzeiger einen Nachruf auf den französischen Literaturkritiker Bernard Pivot (mehr zu dessen Tod bereits hier). Die Zeit bringt Paul Austers bereits vor einigen Jahren abgefasste Erinnerungen an die Zeit der Vietnamproteste an der Columbia University, dem Brennpunkt der aktuellen Gaza-Proteste in den USA.

Besprochen werden unter anderem Albert Cohens "Oh, ihr Menschenbrüder" (Jungle World), Eliška Barteks "Und vor mir ein ganzes Leben" (SZ) eine Neuausgabe von Ivan Gončarovs Debüt "Die Schwere Not" aus dem Jahr 1838 (FAZ). Mehr ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 07.05.2024 - Literatur

Mit Fernsehberühmtheiten verhält es sich so, dass sie nur strikt im nationalen Rahmen funktionieren. In Deutschland weiß niemand, wer Bernard Pivot war, in Frankreich war er einer der berühmtesten Moderatoren, und das mit einer Literatursendung: "Apostrophes". Pivot ist im Alter von 89 Jahren gestorben. Von bis 1975 bis 1990  liefen 724 Folgen der Sendung "Apostrophes", die einmal auch international für Aufsehen erregte - durch den Auftritt Alexander Solschenizyns nach seiner Ausbürgerung. Anders Als Marcel Reich-Ranicki, der einzigen vergleichbaren Figur in Deutschland, war Pivot nie Kritiker, schreiben die Kollegen von France Culture, aber "Bernard Pivot las aus Leidenschaft und beruflichen Gründen sehr viel, verschlang Bücher und Romane, um diejenigen auszuwählen, die eine Ehrung verdienten. Für den Prix Goncourt, dessen Präsident er fast fünfzehn Jahre lang bis 2019 war, aber auch für seine Vorzeigesendungen auf Antenne 2 und später auf France 2, in denen prominente Gäste defilierten."

Auch die neuen Philosophen Bernard-Henri Lévy und André Glucksmann hatten ihre ersten fulminanten Auftritte in "Apostrophes". Hier ein sehr malerischer BHL:

Pivot verkörperte allerdings auch den heute sehr weit weggerückten pädophilen Zeitgeist der Siebziger und Achtziger und lud nicht weniger als sechsmal den Autor Gabriel Matzneff ein, dessen Romane von seinen sexuellen Abenteuern mit 14- bis 17-jährigen Mädchen handeln. Matzneff ist durch verschiedene Erinnerungsbücher seiner Opfer heute komplett in Misskredit geraten. Hier ab Minute 1.29' die unglaublich mutige Intervention der kanadischen Autorin Denise Bombardier gegen Matzneffs Selbstgefälligkeit.

In der FAZ schreibt Niklas Bender einen Nachruf auf Pivot. In den "Actionszenen der Weltliteratur" erinnert Marc Reichwein an eine Entgleisung Thomas Manns. Rose-Maria Gropp berichtet in der FAZ von der Freiburger Popup-Buchmesse "freiBuch". Patrick Bahners gratuliert in der FAZ dem Comiczeichner Philippe Geluck zum 70. Geburtstag.

Besprochen werden unter anderem Orhan Pamuks "Erinnerung an ferne Berge" (FR),  Han Kangs "Griechischstunden" (NZZ), Mareike Fallwickls "Und alle so still" (NZZ), Moussa Abadis Prosaband "Die Königin und der Kalligraph" (SZ) und Ann Marks' Biografie über die vor wenigen Jahren entdeckte Hobby-Fotografin Vivian Maier (FAZ). Mehr ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.
Stichwörter: Pivot, Bernard

Efeu - Die Kulturrundschau vom 06.05.2024 - Literatur

Nynorsk, die Variante des Norwegischen, in der der Literaturnobelpreisträger Jon Fosse seine Romane und Theaterstücke verfasst, steht in Norwegen immer mehr unter Druck gegenüber der mehr ans Dänische angelehnten Variante Bokmål, schreibt Aldo Keel in der NZZ: "Droht Fosse am Ende die Leserschaft abhandenzukommen? Der Slogan 'Fuck Nynorsk' prangte vor den landesweiten Schulwahlen auf Plakaten über der Silhouette des Sprachschöpfers Ivar Aasen. Für viele Schüler, die Aasens Idiom als 'Nebensprache' lernen müssen, ist Nynorsk das überflüssigste Fach der Welt."

Weitere Artikel: Peter Neumann erzählt in der Zeit von seinem Besuch beim Schriftsteller Volker Braun, dessen neuer Prosaband "Fortwährender Versuch, mit Gewalten zu leben" gerade erschienen ist. Sieglinde Geisel hat ihr Gespräch mit Zoltán Danyi aus "Bilder und Zeiten" der FAZ in ihrem Tell-Magazin online nachgereicht. Richard Kämmerlings begrüßt in der Welt mit Goethe den Frühling. Im Literaturfeature von Dlf Kultur befasst sich Hartmut Kasper mit den großen KIs in der Science-Fiction-Literatur.

Besprochen werden unter anderem Jan Koneffkes Roman "Im Schatten zweier Sommer" über Joseph Roth (FR), Frances Stonor Saunders' "Der Koffer" (Standard), Armin Kasters und Sabine Rufeners Bilderbuch "Das Nachtkind" (online nachgereicht von der FAZ) und neue Krimis, darunter Fuminori Nakamuras "Die Flucht" (FAZ). Mehr ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.

In der online nachgereichten Frankfurter Anthologie schreibt Rüdiger Görner über Hedwig Lachmanns "Unterwegs":

"Ich wandre in der großen Stadt. Ein trüber
Herbstnebelschleier flattert um die Zinnen,
Das Tagwerk schwirrt und braust vor meinen Sinnen ..."
Stichwörter: Fosse, Jon, Nynorsk, Norwegen

Efeu - Die Kulturrundschau vom 04.05.2024 - Literatur

Siri Hustvedt, die Witwe Paul Austers, hat in einem bitteren Instagram-Posting ihre Wut darüber zum Ausdruck gebracht, dass bereits erste Meldungen vom Tod ihres Gatten durchs Netz schwirrten, bevor Austers Leiche aus dem Haus war. "Nicht mir, nicht unserer Tochter Sophie, nicht unserem Schwiegersohn Spencer, nicht meinen Schwestern, die Paul wie seine eigenen liebte und die seinen Tod bezeugten, wurde die Zeit gelassen, diesen schmerzenden Verlust anzunehmen. Niemand von uns war in der Lage, Menschen, die uns nahe sind, per Anruf oder Mail davon in Kenntnis zu setzen, bevor das Online-Geschreie einsetzte. Diese Würde hat man uns geraubt." Also "genau dort, wo keinem seine eigene Geschichte noch wirklich gehört, in den sozialen Medien, fordert Siri Hustvedt ihre Souveränität über die Erzählung des Lebens und Sterbens des ihr Liebsten erschütternd elegant zurück", schreibt Marie Schmidt in der SZ. "Sie verwahrt sich und das Werk ihres Mannes mit einem Hohnlachen ('I have laughed out loud') gegen die Kategorisierung als postmoderner Autor, die sie in allen Nachrufen gefunden habe. ... Wenn das Wort "Postmoderne" als Bezeichnung für bestimmte formale und motivische Entscheidungen von Paul Austers Schreiben auch weder falsch noch sehr präzise ist, muss Siri Hustvedts Entsetzen darüber doch zu denken geben, wie schnell ein geliebter Mensch in einer Schublade verräumt wird."

Weitere Artikel: In einem Essay für die FR verneigt sich Jonathan Littell vor der ukrainischen Literatur. Cornelia Geißler und Anja Reich sprechen für die Berliner Zeitung mit der Schriftstellerin Jenny Erpenbeck, die im englischsprachigen Ausland nach diversen Nominierungen für den Internationale Booker Prize auch als aussichtsreiche Literaturnobelpreiskandidatin gehandelt wird (mehr dazu bereits hier und dort). Die Schriftstellerin Lene Albrecht erinnert in "Bilder und Zeiten" der FAZ an die weitgehend in Vergessenheit geratene Schriftstellerin Andrea Manga Bell, die nicht nur mit Joseph Roth zusammen war, sondern auch die erste afrodeutsche Autorin der Literaturgeschichte ist. Mara Delius erzählt in der Literarischen Welt von ihrer Begegnung mit der französischen Schriftstellerin Colombe Schneck. Wieland Freud und Mladen Gladic sprechen in der Literarischen Welt ausführlich mit dem Literaturwissenschaftler Mark McGurl, der sich mit literarischen Netzkulturen wie Instabook und Youtube-Rezensionsvideos befasst. Dieter Borchmeyer holt für die NZZ Goethes "Werther" und Thomas Manns "Zauberberg" - "die beiden berühmtesten Romane der deutschen Literatur", die allerdings "in einem antithetischen Verhältnis zueinanderstehen" - aus dem Regal. Im FAZ-Kommentar kriegt Jürgen Kaube graue Haare, wenn er sich auf Tiktok umschaut, wie der aktuelle bayerische Abitur-Jahrgang sich darüber beschwert, dass ihm in der Prüfung mit einem Gedicht von Jan Wagner moderne Lyrik vorgelegt wurde: Zu sehen sind hier "Stereotype des Deutschunterrichts", bei dem gepaukt, statt lesen gelernt werden soll. Ronald Pohl erinnert im Standard daran, wie Karl Kraus' einst Moralapostel aufspießte.

Besprochen werden unter anderem die ukrainische Lyrikanthologie "Den Krieg übersetzen" (FR), Dana Grigorceas "Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen" (taz), Teju Coles "Tremor" (taz), Laura Leupis "Das Alphabet der sexualisierten Gewalt" (NZZ), Karl Ove Knausgårds "Das dritte Königreich" (LitWelt) und eine deutsche Neuausgabe von Albert Cohens autobiografischem Buch "Ô vous, frères humains" (FAZ).
Stichwörter: Auster, Paul, Hustvedt, Siri

Efeu - Die Kulturrundschau vom 03.05.2024 - Literatur

Tilman Spreckelsen befasst sich für die FAZ mit dem "Young Adult"-Trend, der den Publikumsverlagen gerade ansehnliche Umsätze beschert: "Dieses in mancher Hinsicht so seltsam konforme Genre ... setzt auf altbackenste Boy-meets-Girl-Geschichten, auf Sex und Gewalt, und warnt im selben Atemzug davor." Im SZ-Gespräch rät der Jugendbuchforscher Felix Giesa, der grassierenden Leseschwäche unter Kindern mit Kindercomics beizukommen. Alida Bremer schreibt im Freitag einen Nachruf auf Paul Auster (mehr zu dessen Tod bereits hier).

Besprochen werden unter anderem Paul Murrays "Der Stich der Biene" (Freitag), Uwe Wittstocks "Marseille 1940" über deutsche Exil-Literatur (FR), neue Sachbücher (Freitag), Patrick Oberholzers Sachcomic "Games" (SZ) sowie Murray G. Halls und Georg Renöckls "Welt in Wien" über die 100-jährige Geschichte des Paul Zsolnay Verlags (FAZ). Mehr ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.
Stichwörter: Auster, Paul

Efeu - Die Kulturrundschau vom 02.05.2024 - Literatur

Paul Auster, 1947-2024. (Bild: David Shankbone, CC BY 3.0)

Die Feuilletons trauern um Paul Auster. Seine in 50 Jahren entstandenen, beinahe 20 Romane boten zur Freude des Lebenspublikums und der Kritik "abenteuerliche, aber vertraute Situationen, Momente der Gefahr und Gewalt, Wendungen ins Absurde, gründliche Zweifel an der Zuverlässigkeit von Wahrnehmung, rätselhafte Identitäten, eine enge Bindung des Erzählten an die eigene Biografie - und am Ende doch die Gewissheit, dass es, allen Zufällen und wechselnden Lebensumständen zum Trotz, an Orientierung niemals fehlt", hält Thomas Steinfeld in der SZ fest. "In allen diesen Büchern ist es, als betrete man ein Haus, und im Flur hingen lauter Fotografien, die den Bewohner in den verschiedensten Situationen und Gestalten zeigen. ... Wenige Schriftsteller gibt es, die man nach der Lektüre von zwei, drei Büchern so gut zu kennen meint, wie es bei Paul Auster der Fall ist."

"Das Spiel mit Identitäten, die Welt als Spiegelkabinett der Möglichkeiten", so fasst Volker Weidermann in der Zeit Austers "Romanwelt" zusammen. "Er balanciert mit seinen Fiktionen stets am Rande der Realität, es ist, als baumele stets ein Arm oder Bein hinüber über die Grenze." Dass dabei der Zufall eine wichtige Rolle spielt, hat mit einem Erlebnis in Austers Jugend zu tun, erklärt Irene Binal in der NZZ: Damals wurde er Zeuge, wie ein Freund vom Blitz erschlagen wurde. "Diesem Mechanismus der Realität spürte er in seinem Werk nach. ... 'Die Vorstellung, dass Fiktion in die reale Welt schwappen kann und umgekehrt, fasziniert mich', meinte er. 'Wenn wir uns durch die dreidimensionale Welt bewegen, stellt sich unser Gehirn immer andere Möglichkeiten vor. Mich interessiert, was die Wirklichkeit ist, das Konkrete und das Substanzlose, das so genannte Reale und das so genannte Imaginierte.'"

Hannes Stein erinnert in der Welt an den durchschlagenden Erfolg, den Auster in den Achtzigern mit seiner "New-York-Trilogie" hatte: Die Kritikern feierten die Bücher "als Errungenschaft der postmodernen Literatur, weil die Realität auf Schritt und Tritt knisterte wie brüchiges Eis und der Autor lauter Spiegel aufgestellt hatte, in den der Text sich quasi selber begegnete; außerdem kam in den Seiten ein Paul Auster vor, der mit dem Autor gewisse Wesensmerkmale teilte. Verwandtschaften mit Poe und Hawthorne wurden registriert, auch Bezüge zu Beckett und Miguel de Cervantes. Vielleicht könnte man es auch einfacher sagen: Die 'New-York-Trilogie' las sich streckenweise so, als sei Franz Kafka im Gehirn von Raymond Chandler wiedergeboren worden und habe sich den Jux erlaubt, eine Serie von Detektivromanen der hartgesottenen Sorte zu verfassen." Weitere Nachrufe schreiben Dirk Knipphals (taz), Judith von Sternburg (FR) und Andreas Platthaus (FAZ),

Weiteres: In der FAZ gratuliert Jürgen Kaube dem SZ-Literaturkritiker Thomas Steinfeld zum 70. Geburtstag. Lothar Müller (SZ) und Tilman Spreckelsen (FAZ) schreiben Nachrufe auf den Literaturwissenschaftler Peter Demetz. Besprochen werden Gabriel Wolkenfelds "Wir Propagandisten" (Jungle World), Volker Brauns Essayband "Fortwährender Versuch, mit Gewalten zu leben" (Standard), der Band "Der Nister: 'Von meinen Besitztümern'" mit jiddischen Erzählungen (online nachgereicht von der FAZ) und Kirstin Warnkes "Sei nicht so" (FAZ). Mehr ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.
Stichwörter: Auster, Paul, Kafka, Franz

Efeu - Die Kulturrundschau vom 30.04.2024 - Literatur

Das mächtige Rumoren im amerikanischen PEN Club, bei dem eine offenbar unter dem Einfluss von BDS stehende Basis gegen den teils mit Zionisten besetzten Vorsitz rebelliert und auf jede diplomatische Handreichung mit noch schrilleren Rücktrittsforderungen reagiert (unser Resümee), hatte im deutschen Feuilleton bislang irritierend wenig Niederschlag gefunden. Hannes Stein bricht in der Welt das Eis - und sieht für die Schriftstellervereinigung nach jüngsten Entgleisungen kaum noch eine Zukunft. Ihre eigene "Charta verpflichtet den PEN-Club nur auf das Eintreten für die Meinungsfreiheit, dieses allerdings unbedingt; von anderen politischen Themen, für die sich der PEN-Club einsetzen soll, ist nicht die Rede, nicht vom Klimawandel, nicht vom Wohlfahrtsstaat, nicht von der Unterstützung der bzw. Gegnerschaft zur Nato. Und das kann auch nicht anders sein: Schriftsteller haben alle möglichen (und unmöglichen) politischen Haltungen, vom Anarchismus bis zum Ultrakonservatismus, die Meinungsfreiheit ist die einzige Geschäftsgrundlage, auf die sich im Zweifel die meisten einigen können. Wenn nun die Verurteilung Israels und der Rausschmiss ihrer jüdischen Vorstandsvorsitzenden wegen Verdachts auf Zionismus zur Geschäftsgrundlage werden soll, werden viele, vielleicht sogar die meisten Mitglieder des amerikanischen PEN-Clubs diesen verlassen."

Auf der Seite Drei der SZ erzählt Frank Nienhuysen von dem "unheimlichen Bücherdiebstahl", der "sich durch Europa zieht, seit zwei Jahren": Diebe brechen in große, zuvor oft mit Agentenmethoden ausspionierte Bibliotheken ein, um Originalausgaben russischer Werke zu stehlen und teils durch Fälschungen zu ersetzen. Vor wenigen Tagen wurden die Diebe in Georgien gefasst, unklar ist aber die Motivation. Könnte es Patriotismus sein, der russische Kultur aus dem Westen nach Hause bringen will? "Einige der gestohlenen Bücher tauchten in Russland auf. Nach Angaben von Europol wurden sie über Auktionshäuser in Sankt Petersburg und Moskau verkauft. Eines davon für 30 500 Euro, wie der polnische Wissenschaftler Hieronim Grala, Professor an der betroffenen Universität Warschau, der Nachrichtenagentur AFP sagte. 'Mir ist klar, dass die gesamte Aktion zentral von Russland aus organisiert wurde', sagte er." Die Berliner Archivarin Aglaé Achechova ist überzeugt, dass die Diebe "Leute sind, die einfach viel Gewinn machen wollen".

Besprochen werden unter anderem Thomas Kunst Gedichtband "Wü" (taz), George Saunders' Erzählband "Tag der Befreiung" (online nachgereicht von der Zeit), Jane Gardams "Gute Ratschläge" (FR), Constance Debrés autobiografischer Roman "Love me Tender" (Intellectures), Thomas Medicus' "Klaus Mann. Ein Leben" (online nachgereicht von der Zeit, Welt), Kettly Mars' "Kasalé" (FAZ) und eine Arte-Doku über Art Spiegelmans Comicklassiker "Maus" (taz).