Essay

Keine Angst vor KI

Von Lukas Pazzini
26.06.2023. Im März kam ChatGPT auf den Markt.  Seitdem kommt auch der Perlentaucher kaum hinterher mit der Protokollierung von Weltuntergangsfantasien. Die Grünen veranstalteten jüngst allerdings im Bundestag ein angenehm unaufgeregtes Podium zum Thema: Wie wirkt sich KI auf die Kunst aus? Künstlerinnen wie Nora Al-Badri, erwies sich da, sind längst vorbereitet.
Seit März diesen Jahres ist ChatGPT auf dem Markt. Und seitdem häufen sich die Witze, in denen eine Person spaßhaft behauptet, eine Rede mit Chat GPT verfasst zu haben, eine neue Art von Witzen mit Bart, fast schon abgestanden.

Im selben Zeitraum ließ sich auch in der Perlentaucher-Presseschau  "9punkt" gut nachvollziehen, wie die dystopischen Zukunftsprognosen in Bezug auf den Einsatz von Künstlicher Intelligenz absurde Züge annahmen. Mal sollte die Künstliche Intelligenz der Grund sein, weshalb ganze Arbeitszweige rationalisiert, Millionen arbeitslos werden würden. Mal lautete die Befürchtung, dass wir alle systematisch verdummen, was bei technologischen Innovationen scheinbar der erste Reflex zu sein scheint. Oder dass uns die Künstliche Intelligenz ganz bald ersetzen, versklaven und auslöschen wird.

Dass es sich bei dieser Technologie, zumindest bezogen auf Chat GPT, um rein generative Programme handelt, die auf die Fütterung mit Material durch Menschenhand angewiesen sind, spielt im Diskurs schon lange keine Rolle mehr - das würde ja bedeuten, die Gesellschaft wäre wieder verantwortlich. Oder die Unternehmen, die unsere Daten monopolisieren und deren Datenschatz wir mit jedem "Prompt" - so heißen Fragestellungen an ChatGPT - nur vergrößern.

Aber es gibt noch andere Stimmen. Zum Beispiel während des Fachgesprächs der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen am letzten Donnerstag über die Rolle von Künstlicher Intelligenz in der Kunst beziehungsweise Kreativwirtschaft.

Dabei wollte die Fraktion herausfinden, wie das Parlament als Gesetzgeber einen Rahmen für die Nutzung künstlicher Intelligenz, die auch in der Kunst eingesetzt wird, schaffen kann. Und sie suchte Anregungen für die Trilog-Verhandlungen über die KI-Verordnung auf europäischer Ebene. Ob andere Fraktionen sich um ähnliche Formate zu diesem Thema bemühten, konnten wir nicht abschließend feststellen.

Die Grünen fielen seit März in diesem Diskurs weder durch einen prophetischen KI-Pessimismus noch durch einen technologieoffenen KI-Optimismus, sondern durch den Hinweis auf die Chancen wie Risiken der Künstlichen Intelligenz oder des Machine Learnings wie auch die klimatischen Auswirkungen der Betreibung von Servern auf. Sie wählen für sich selbst die Bezeichnung "Digitalrealist*innen".

Als kritische Stimmen gegenüber der Künstlichen Intelligenz erwiesen sich bei diesem Gespräch Florian Drücke (Vorstandsvorsitzender Bundesverband der Musikindustrie) und Nina George (Ehrenpräsidentin und Politische Beauftragte des European Writers' Council), wobei sie sich besonders um die Kunstschaffenden Sorgen machten, die durch ihre Werke die Künstlichen Intelligenzen erst in die Lage versetzten, "eigene" Werke zu schaffen. Der Schutz der Originalwerke sei eben sehr gering, obwohl gerade in der Musikindustrie alles zwecks Vermarktung auf die Person zugeschnitten ist und die Industrie von einem Zustrom neuer Kunstschaffende abhängt, bemerkte Drücke.

Matthias Hornschuh, Sprecher der Kreativen in der Initiative Urheberrecht, warnte auch vor einer "Nackigkeit" der Künstlichen Intelligenz gegenüber. Außerdem machte er auf die Rolle des Urheberrechts für die Gesamtgesellschaft aufmerksam: Dadurch, dass die Künstlichen Intelligenzen zum Beispiel eine beliebige Stimme nehmen, verarbeiten und reproduzieren können, betreffe das Urheberrecht nun die ganze Gesellschaft, die sich dem ausgesetzt sehe.

Nur die multidisziplinäre Künstlerin Nora Al-Badri (Website) zeigte sich überrascht, dass Künstliche Intelligenz erst jetzt so einen großen Zulauf erhält - arbeitet sie doch schon seit Jahren mit Hilfe von KI-Software. Berühmt ist ihre Reproduktion der Nofretete, von welcher sie einen 3D-Scan erstellte und diese als OpenSource, also frei verfügbar, ins Internet stellte.

"Nora Al-Badris" eingescannte Nofretete-Scan von 2016 mit "eingestempelter" CC-Lizenz. "Copyrighting a copy doesn't make sense", zitierte Hyperallergic damals.



Von Kunstschaffenden zu denken, dass diese wie der Großteil der Gesellschaft nun von dieser Entwicklung überrollt werden würden, ist falsch, so Al-Badri. Viel eher arbeiteten Künstler schon seit langer Zeit mit Künstlicher und Generativer Intelligenz zusammen. Die Künstler sollten also eine vermittelnde Position einnehmen und die Angst vor der Künstlichen Intelligenz nehmen.

Hornschuh und Al-Badri waren sich im Laufe der Diskussion einig, dass ein anderes Problem das Risiko für die Gesamtgesellschaft erhöht: die Server, auf denen zum Beispiel die von Chat GPT erhobenen Daten liegen, befinden sich nicht auf europäischem Boden und in den Händen weniger Konzerne. Die Verarbeitung der Daten ist aus ihrer Sicht weniger problematisch, sobald das Wissen nicht von privaten Firmen monopolisiert wird.

Dies konnten auch die anderen Diskutierenden nachvollziehen und forderten von der Bundestagsfraktion, sich für die langfristige Förderung europäischer KI-Initiativen, die auch die Werte der Europäischen Union respektieren, einzusetzen. Überraschenderweise forderte keiner der teilnehmenden Experten eine sofortige Regulierung - anders als es zu Anfang des Gespräches erwartet wurde. Nina George stieß mit dem Ansatz, die Menschen die Programme erst ausprobieren lassen zu dürfen, bevor sie gleich überreguliert werden, auf Zustimmung.

Diese Veranstaltung zeigt, dass die Beschäftigung mit Künstlicher Intelligenz eine sehr wichtige ist, wir können ihr kaum entgehen, so tiefgehend ist ihr Einschnitt in unsere Produktionsweise. Doch sie zu verbieten und ihr Potenzial direkt in einem engen Gesetzeskorsett zu ersticken, erscheint nicht sinnvoll.

Es ist allerdings wichtig, sich in diesem Zusammenhang mit dem Datenschutz auseinanderzusetzen, mit der Frage, ob amerikanische Tech-Unternehmen unsere Daten anhäufen sollen oder wir eine europäische Alternative vorziehen. Und es ist wichtig, sich über das Urheberrecht Gedanken zu machen, denn im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz wird das Urheberrecht noch zwingender zum allgemeinen Menschenrecht, da unser aller Stimmen beliebig reproduziert und benutzt werden können. Das Teilen von und die Teilhabe an Erfahrungen mit Künstlicher Intelligenz ist umso wichtiger und hilft die Angst vor dieser Technologie zu nehmen - mit ein wenig Pragmatismus.

Lukas Pazzini