Efeu - Die Kulturrundschau
Das perfekte Idyll, also das Grauen
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Kunst
Höchst vergnügt spaziert SZ-Autor Willi Winkler durch die Schau, die das Museum Fürstenfeldbruck dem urbayrischen Malerpoeten Heinz Braun widmet: "Vom Sterben und vom Leben davor handeln seine Bilder. 'Im Hacketal' heißt eins seiner schönsten, aber wer es nicht weiß, ahnt nichts Böses, nicht das Böse, das in diesem blumenreichen Tal blüht. Ein Kruzifix zerteilt das Bild diagonal, die Wunden, von Nägeln geschlagen, bluten gehörig, demütig steht Maria unterm Kreuz, und statt der anderen Leidtragenden bleckt eine Kuh die Zunge gegen den Gekreuzigten. Blasphemie? Nein, reinstes Barock, eine Vanitas-Allegorie, wenn es je eine gab, denn in der Klinik des Julius Hackethal suchte Braun Heilung, zahlte, was der gute Doktor verlangte, und malte dafür um sein Leben. Es ist das perfekte Idyll, also das Grauen."
Für Hyperallergic begleitet Naomi Polonsky die Performance-Gruppe BP or Not BP auf einer "Stolen Goods Tour" durch das British Museum, mit Aktivisten aus Australien, Neuseeland, Hawaii, Irak und dem griechischen Teil Zyperns: "Die Tour begann im Raum der Aufklärung mit einem Vortrag des Aborigines-Aktivisten Rodney Kelly, der seit zwei Jahren die Rückgabe des Gwaegal-Schilds fordert. Kelly ist in sechster Generation ein Nachfahre des Kriegers Cooman und behauptet, dass dieser Schild seinen Vorfahren 1770 von Captain James Cook geraubt wurde, während der ersten Begegnung von Briten und den indigenen Australiern an der Botany Bay. In seinem Vortrag, in den Performances mit dem Didgeridoo eingebaut waren, erklärte Kelly, dass die Restitution ein Weg wäre, um die Gewalt anzuerkennen, die Aborigines in der geschichte angetan wurde. Er erklärte auch die spirituelle Bedeutung des Gegenstands: 'Für manche Leute mag es nur ein Stück Holz sein', sagte Kelly, 'doch Aborigines sind spirituelle Menschen, für sie ist die Erde unsere Mutter'."
Weiteres: Ebenfalls auf Hyperallergic blickt die brasilianische Kuratorin Andrea Giunta auf die Mercosur Biennale unter Präsident Jair Bolsonaro. Ihre Strategie: So viel Dialog wie möglich. Für den Guardian trifft Kate Connolly mit Ai Weiwei, der eine Flagge für die Menschrechte entworfen hat (ein weißer Fußabdruck auf blauem Grund) und sich im Übrigen ziemlich bitter über die Feindseligkeit äußert, die ihm in Berlin entgegengebracht wird. Zum zweihundertjährigen Bestehen feiert der Prado in Madrid seine Sammlung mit einer opulenten Schau, und NZZ-Kritikerin Uta Reindl lässt sich von den Ikonen der spanischen Malerei überwältigen: Velázquez und Zurbarán, Goyas "Nackte Maja" und gleich daneben Picasso Variation des Motivs.
Besprochen werden eine Ausstellung zur Wirkungsgeschichte von Ovids Metamorphosen in den Scuderie del Quirinale (SZ), Sofia Hulténs Ausstellung "Unstable Fakers of Change in Self" im Kindl Berlin (taz) und Barbis Ruders "Influenca"-Schau "Screentime" in der Neuen Galerie Innsbruck (Standard).
Bühne
Literatur
Weitere Artikel: Tobias Sedlmaiers bringt für die NZZ in Erfahrung, wie sich Enid Blytons "Fünf Freunde" 50 Jahre nach dem Tod ihrer Schöpferin mit dem Brexit herumschlagen. Besprochen werden unter anderem A. L. Kennedys "Süßer Ernst" (taz), Richard Powers' "Die Wurzeln des Lebens" (Zeit), Vivek Shanbhags "Ghachar Ghochar" (Tagesspiegel), Gerhard Neumanns "Selbstversuch" (SZ), Zoltán Danyis "Der Kadaverräumer" (NZZ) und Min Jin Lees "Ein einfaches Leben" (FAZ).
Mehr auf unserem literarischen Meta-Blog Lit21 und ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.
Film
Mitunter um sehr grundsätzliche Fragen der Filmsicherung geht es im Standard-Gespräch, das Dominik Kamalzadeh mit Frédéric Maire, dem Präsidenten der internationalen Vereinigung der Filmarchive (FIAF) und Chef der Cinémathèque Suisse, geführt hat: "Wir befinden uns am Beginn einer neuen Ära. Als der Tonfilm kam, hat es auch Jahre gedauert, bis sich ein System weltweit durchgesetzt hat. Es wird noch Jahre brauchen, bis es ein Format gibt, das in allen Ländern kompatibel ist. Die DCPs, die Digital Cinema Packages, die dieser Tage ins Kino gelangen, sind komprimiert. Würde man diese aufbewahren, behielte man nur eine schlechte Kopie. Um die originale DPX aufzubewahren, braucht man jedoch enorme Speicherleistung - und oft fehlt den Archiven dafür das Geld. Die Kluft, die es schon in der Erhaltung des analogen Films zwischen den Institutionen gab, wird dadurch noch größer. Deshalb ist die Lösung, bei der Erhaltung des Erbes auf Film als Material zurückzukehren, nicht die absurdeste Lösung. Weil dies Sicherheit bietet."
Weitere Artikel: Andreas Busche berichtet im Tagesspiegel vom Filmfestival in Marrakesch, das in diesem Jahr erstmals von Christoph Terhechte, dem ehemaligen Chef des Berlinale-Forums, geleitet wird und sich in diesem Jahr auf Anweisung der Politik wieder vermehrt dem Publikum öffnen soll. Besprochen werden Gaspar Noés "Climax" (Tagesspiegel, unsere Resümees hier und dort), eine DVD-Edition mit Fellini-Klassikern (Intellectures) und Želimir Žilniks "Das schönste Land der Welt" (Standard).
Musik
Weitere Artikel: Für tazler Ulrich Gutmair stellen Bilderbuch mit ihrem neuen, überraschend im Netz veröffentlichten Album "Mea Culpa" unter Beweis, "die deutschsprachige Band mit dem größten Pop-Appeal seit Falco" zu sein. Für die SZ hat Jonathan Fischer einen Gottesdienst des früheren Soulsängers und heutigen Predigers Al Green besucht. Auf Pitchfork widmet Simon Reynolds dem verstorbenen Buzzcocks-Sänger Pete Shelley einen ausführlichen Nachruf. In der FAZ gratuliert Wolfgang Sandner dem Jazzpianisten McCoy Tyner zum 80. Geburtstag.
Besprochen werden Eleonore Bünings Buch "Sprechen wir über Beethoven" (NZZ), ein von Kirill Petrenko dirigiertes Konzert der Wiener Philharmoniker (Standard), ein neues Album von Hans Platzgumers Band Convertible (Standard), das neue Kollegah-Album, auf dem sich der Rapper laut Tagesspiegel-Kritikerin Nadine Lange "ungebrochen misogyn" zeige und zudem auf eher wirre Weise für mehr Nationalstolz plädiert, ein Konzert des Pianisten Marc-André Hamelin (SZ) und neue Klassikveröffentlichungen, darunter eine neue Live-Aufnahme der Pianistin Yuja Wang (SZ).